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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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Geruch verströmte. Er war kaum spürbar, und nur wer eine gute Nase hatte, konnte ihn überhaupt wahrnehmen. Aber sie war sicher, dass sie ihn zu jeder Zeit beschreiben könnte, wenn es von ihr gefordert würde.
    Lange Zeit irritierte es sie, dass dieser Geruch sich nicht einordnen ließ, dass er aus zahllosen verschiedenen Gerüchen zu bestehen schien, für die sie keine Namen fand. Tabak schien eine Komponente zu sein, dann eine ganz bestimmte Seife, die überging in den Geruch von diesen Dufteiern, die an carnevale geworfen wurden, obwohl sie sicher war, dass Riccardo nie eines von diesen Eiern in die Hand genommen hätte. Dann glaubte sie, einen Hauch von Druckerschwärze wahrzunehmen, was ganz gewiss seine Richtigkeit hatte, da er oft Stunden mit Leonardo in der Druckerei verbracht hatte. Und über allem schwebend lag etwas, von dem sie lange Zeit glaubte, es sei ihr eigener Körpergeruch, eine Essenz, die sie einmal von ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte. Wiewohl sie auch hier wieder zweifelte, ob Riccardo diese Essenz in seinen Besitz gebracht hatte, um ihr damit nahe zu sein. Aber solche Vorstellungen waren nie ihre Welt gewesen – ihre Welt war die Welt des Geistes gewesen.
    Es war ein frostiger Morgen, an dem sie die Stadt diesmal verließ, und der Weg hatte den Vorteil, dass das Pferd nicht sofort im Matsch versank. Sie genoss es, sich den Wind um die Ohren blasen zu lassen, pfiff sogar vor sich hin, was sie seit langer Zeit nicht mehr getan hatte.
    Immer wieder griff sie in die Tasche ihres Wamses, spürte die Würfelhälfte zwischen ihren Fingern. Die Berührung gab ihr Sicherheit. Der Würfel gehörte zu den Erinnerungen, die sie mit Riccardo verband. Sie war damals neun gewesen oder zehn, hatte ein Kätzchen besessen, das eines Tages in die Lagune fiel und darin ertrank. Sie konnte dieses Erlebnis nicht vergessen und hatte von da ab stets schreckliche Ängste ausgestanden, wenn Riccardo nach Padua geritten war, um seine gefährlichen Missionen zu erfüllen. Sie erinnerte sich in aller Deutlichkeit, dass sie sich einmal, als er schon fast einen Fuß im Boot hatte, an seine Beine geklammert hatte und verhindern wollte, dass er die Stadt verließ. Riccardo hatte versucht, sie zu beruhigen. Als alle Mühe vergebens war, hatte er sein Boot wieder verlassen und war mit ihr in den Palazzo zurückgekehrt. Dort hatte er sie an seine Truhe geführt und ein altes Würfelspiel herausgesucht. Er nahm ein scharfes Messer, schnitt einen der Würfel in der Mitte entzwei und gab ihr die Hälfte. Dann hatte er ihr erklärt, dass dies bei den Griechen ein uraltes Symbol gewesen sei und dass man sicher sein dürfe, dass man sich wiederfinde, wenn die eine Würfelhälfte mit der anderen wieder zusammentreffe. Auch nach dem Tod.
    Sie hatte daran geglaubt bis zu jenem Tag, an dem sie den Palazzo hatte verlassen müssen und beide Würfelhälften in einem Schächtelchen zusammen gefunden hatte, was wohl kaum seine Richtigkeit hatte haben können. Sie hatte dann irgendwann einmal die eine Hälfte des Würfels auf der Insel vergraben wollen, bei Riccardos Grab, aber da er dieses Grab mit hunderten von anderen Pesttoten teilen musste, hatte sie dann doch darauf verzichtet. Sie hatte dann später einmal die andere Würfelhälfte durchbohren lassen und sie von da an an einer silbernen Kette um den Hals getragen, als Talisman. Und sie hatte dabei stets das Gefühl gehabt, dass Riccardo bei ihr sei, in ihr sei, als liege seine Hand auf ihrem Rücken, streichle ihren Nacken. Als beschütze er sie, warne sie vor Gefahren, die sie nicht erkannte. Das einzige Mal, an dem sie die Würfelhälfte nicht bei sich trug, war sie nur knapp einer Horde von Verfolgern entronnen. Aber das lag weit zurück, sodass sie nun auf ihren Botenreisen nahezu frei von Angst war.
    Sie hatte diesmal einen anderen Weg eingeschlagen als sonst. Sie war zunächst ziemlich lange an der Brenta entlanggeritten, hatte den Flusslauf weiter verfolgt und war schließlich bei einem Dorf, das sie nie zuvor gesehen hatte, ins Landesinnere abgebogen. Sollte irgendwer von ihrem Vorhaben erfahren haben, so hatte sie ihn zumindest eine kurze Zeit von ihrer Fährte abbringen können.
    Leonardo hatte ihr wie üblich den alten, abgewetzten Ledersack mitgegeben, in dem sich das Manuskript befand. Sie hatte den Sack in ihrer Satteltasche versteckt, verborgen unter dem Proviant, den Leonardo ihr mitgegeben hatte, trotz ihrer Weigerung, ihn anzunehmen. »Du tust das für die

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