Stadt der blauen Paläste
n. Martin Luther. Es stammt von Martin Luther«, erklärte er dann mit sanfter belehrender Stimme, so, als seien diese drei Frauen seine Schüler, die ihre Hausaufgaben nicht sorgfältig genug gemacht hätten.
»Ich habe nicht gefragt, wer es geschrieben hat«, sagte Lea ein zweites Mal, und unterdrückte dabei nur mühsam ihren Zorn, »ich will wissen, woher du es hast.«
Moise sah sie verblüfft an.
»Nun, woher wohl? Von deinen Bücherstapeln im Kaminzimmer. Oder im salotto . Von deiner Bibliothek, die du zurzeit bearbeitest. Du hattest mir erlaubt, dass ich mir die Bücher alle anschauen darf, alle«, wiederholte er mit erhobener Stimme. »Oder?«
Lea schluckte. »Das habe ich«, gab sie dann zu.
»Du hast auch gesagt, dass ich immer fragen darf, wenn ich etwas nicht verstehe.« Moises Stimme wurde um eine Tonlage höher. »Das hast du doch auch gesagt, oder?«
Lea schluckte ein zweites Mal. Moise hatte den Eindruck, dass sich sein Terrain verbreiterte.
»Und ich habe nicht verstanden, was das heißt, diese Sachen mit den Lügen und den Juden. Deswegen habe ich das Buch hierher gelegt. War das falsch?«, fragte Moise, als verkünde er soeben einen der Texte der Gesetzestafeln. »Ich dachte, irgendjemand von euch könnte mir das erklären«, fuhr er dann mit zusammengekniffenen Augen fort.
Crestina drehte sich um, Margarete nahm ein Holzbrett von der Wand, begann den Kopf des Fisches abzuschneiden, den sie gekauft hatte, und warf ihn in einen Eimer neben dem Spülstein. Lea setzte sich auf den Stuhl und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Dann zog sie ein Tuch aus ihrem Kleid und wischte über den Tisch, an dem es nichts zu wischen gab.
»Aber ihr wollt mir gar nichts erklären«, sagte Moise zornig und schlug mit einem Kochlöffel auf einen umgedrehten Kochtopf. »Meine Fragen stören euch. Und niemand von euch kann mich leiden.« Er machte eine Pause und starrte Margarete feindselig an. »Und du wohnst mit diesem Luther, der dieses Buch geschrieben hat, zusammen im fondaco .«
»Ich mache was?«, fragte Margarete empört. »Luther ist bereits seit über neunzig Jahren tot.«
»Aber in deinem Kopf lebst du doch mit ihm zusammen«, sagte Moise mit zornigen Augen, »oder etwa nicht?«
»Wer sagt das von Luther und dass Margarete mit ihm zusammenlebe?«, wollte Crestina wissen.
Aber Moise war zu keiner Antwort mehr bereit.
»Und außerdem stehlt ihr mir meine Mutter«, sagte er dann böse und warf den beiden Frauen einen feindseligen Blick zu. »Früher hatte sie viel mehr Zeit für mich. Seit sie hier bei euch ist, hat sie keine Zeit mehr! Nur noch für diese alten Bücher!« Dann stampfte er mit dem Fuß auf den Boden und rannte schreiend vor Wut aus der Küche.
»Du musst ihm nachgehen«, sagte Crestina nach einer Weile, als Moises schrille Schreie noch immer durch den Palazzo dröhnten, »sonst wird er sich wieder in dieser alten Gondel vergraben, die er seit der Rückkehr in dieses Haus als sein ureigenes Refugium betrachtet. Dorthin zieht er sich immer mit seinen Büchern zurück, wenn ihm der Palazzo zu groß erscheint und er sich nach der Enge des Ghettos sehnt.«
»Nein«, erwiderte Lea hart, »er muss sich selber zurechtfinden und vor allem muss er lernen, Recht und Unrecht zu unterscheiden. Und er muss begreifen, dass er so etwas nicht ein zweites Mal machen darf. Wenn er schon in meinen Büchern herumstöbert –«
»Ich denke, du hast es ihm erlaubt«, wagte Crestina einzuwenden, »und jetzt musst du ihm einfach helfen.«
Lea band resolut ein großes Küchentuch um ihren Leib und zog ihren Korb zu sich heran.
»Er wird schon zurückkommen. Ich weiß, was er macht«, murmelte sie dann vor sich hin.
»Und? Was macht er?«
Lea sah Crestina an. »Er ist in deiner Rumpelkammer.«
»Rumpelkammer«, sagte Crestina verblüfft. »Was soll das sein? Und wo soll das sein? Ich wusste gar nicht, dass ich so etwas besitze.«
»Nun, auf deinem solaio «, erwiderte Lea. »Ich dachte mir schon, dass du dich nicht mehr daran erinnerst. Da gibt es einen Verschlag, in dem steht ein uraltes Bett, ein paar Weinflaschen, eine Schüssel und ein Regal.«
Crestina runzelte die Stirn.
»Das stammt vermutlich noch von Jacopo, aus den Zeiten der Pest. Er hatte sich eine Kammer eingerichtet, damit wir keine Mühe mit ihm haben sollten, wenn es ihn erwischt. Aber natürlich kam alles anders. Und was macht Moise dort?«
»Irgendjemand von euch muss früher einmal Tierskelette gesammelt haben«, sagte Lea
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