Stadt der blauen Paläste
Trick mit der Lepraklapper und dem Sarg mit dem angeblichen Lepratoten: Auch hier gelangten jeweils zwei bis drei Zentner Rohkaffee unverzollt über die Grenze.«
»Und Euer Mann hatte mit solchen Kaffeeschmugglern Kontakt?«
»Und ob er das hatte! Und diese Geschäfte liefen mitnichten immer glatt über die Bühne. Zum hundertsten Mal fühlte sich einer der Schmuggler betrogen und bisweilen führte das zu recht langwierigen Konflikten, die nicht immer sanft ausgetragen wurden.«
»Ihr haltet es also für denkbar, dass auch andere für diesen Mord zuständig sein könnten?«
Die Frau stand auf und zog ihr Tuch fester um die Schulter.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie dann ratlos. »Auf jeden Fall bin ich nun wieder einmal völlig allein in diesem riesigen Haus. Immer bin ich allein in irgendwelchen Häusern, die ich mir nicht ausgesucht habe. Ein Leben lang. Mal erschreckt mich ein Papagei und mal ein Pfau. Mitten in der Nacht. Ihr erinnert Euch ja vielleicht noch?«
Crestina erinnerte sich vage, aber ihre Gedanken bewegten sich in völlig anderen Regionen.
»Seit wann ist das Schiff eigentlich verschwunden?«, fragte sie plötzlich und spürte, wie ihr der Hals eng wurde.
»Am Tag nach dem Mord«, murmelte die Frau, »genau einen Tag, oder einen halben Tag später. Ist das wichtig?«
Crestina erhob sich.
»Allerdings ist es das. Weil nämlich mein Sohn auf diesem Schiff mitfahren wollte«, sagte sie dann gepresst. »Und weil ich die Hoffnung hatte, dass er sich eines Besseren besonnen hätte. Aber da hat dann doch wohl der vorgetäuschte Besuch bei der Tante in Pellestrina, zu der er angeblich wollte, herhalten müssen.«
Die Frau starrte sie an.
»Das tut mir Leid. Das tut mir wirklich Leid. Ich bin schließlich auch eine Mutter. Aber es ist ja alles nicht sicher.«
»Was ist nicht sicher?«
»Nun, die Sache mit dem verschwundenen Schiff. Vielleicht ist es ja auch nur in einer Werft. Und ist noch gar nicht unterwegs. Und der Tresor ist aus einem anderen Grund leer. Und Euer Vetter ist irgendwo hier in der Stadt und vergnügt sich in der ›Stufe‹.«
Bartolomeos Schiff lag nicht in der Werft. Es wurde auch nicht erwartet, erfuhr Crestina, als sie am Nachmittag ins arsenale kam und sich bei allen möglichen Männern erkundigte, ob ein Schiff von Signor Ribatto für eine Reparatur gemeldet sei. Dieses Schiff sei erst vor kurzem in der Werft gewesen und befinde sich in allerbestem Zustand, hieß es.
Und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass ihr Vetter in die ›Stufe‹ ging, wenn er eine Reise plante, die zudem noch von einem Mordverdacht überschattet wurde.
Und es wurde ihr schmerzhaft bewusst, dass die Zahl der Menschen, die sie um Hilfe hätte bitten können in solch einer Situation, auf ein Minimum geschrumpft war: Clemens konnte sie nicht befragen, da er für ein dringendes Geschäft zu einem anderen Reeder gefahren war und erst in etlichen Tagen wieder zurückkehren würde.
Und Ludovico war wohl inzwischen auf dem Weg nach Afrika. Um Sklaven zu jagen. Und sie in Ketten zu legen.
21. Die ›Chrestina‹
Das Einzige, was ihr blieb an diesem Nachmittag, den sie nicht zu Hause verbringen wollte, war ein zweiter Gang zum arsenale, um wenigstens die Entscheidung mit der Reederei in ihrem Kopf abzuklären.
Und vor allem, um Abschied zu nehmen von der ›Chrestina‹, von ihrem Schiff. Das Schiff, das Renzo einst auf ihren Namen getauft hatte, das Schiff, dessen Innengestaltung er ihr überlassen hatte: Sie hatte die Stoffe für die Kabinen aussuchen dürfen, sie hatte die Zahl der Einbauschränke angeben können, sie hatte die Truhen ausgewählt und die Wände mit Bildern gestaltet.
Das Schiff, auf dem sie getraut worden waren.
Und ihre Hochzeitsnacht verbracht hatten.
Unterwegs hatten sie einander oft vorgelesen in ihrer Kajüte, und – es durchschoss sie mit einem Mal – Riccardo war nicht dabei gewesen bei diesem Vorgang. Obwohl Renzo damals nach diesem verrückten carnevale, als sie einer Ehe zustimmte, gesagt hatte, dass dies sein dürfe. Dass sie ihren Bruder nun keineswegs vergessen müsse, ihn nicht mehr erwähnen dürfe, nur weil sie jetzt verheiratet waren. Und so war dieses gemeinsame Lesen in der Kajüte für sie auch kein Treuebruch gewesen, schließlich hatte sie mit Renzo nicht Vergil übersetzt und Horaz. Und sie hatte mit Renzo über alles reden können, er war nicht nur ein profitgieriger ›Salzhändler‹ gewesen, wie sie zu Beginn angenommen hatte, er hatte
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