Stadt der blauen Paläste
Buchhändler, der nach Frankfurt zur Buchmesse fährt. Den verlasse ich in Müllheim. Von da aus ist es nur noch ein Katzensprung bis Sulzburg. Für diese kurze Strecke habe ich bis jetzt noch keine Fahrgelegenheit«, gestand Lea leicht verlegen. »Aber die werde ich ganz gewiss finden«, fuhr sie dann selbstbewusst fort.
Moise verfolgte die Strecke mit dem Finger, sah Lea misstrauisch an.
»Und wer hat dir das alles gesagt und erklärt? Zu mir bist du damit ja nicht gekommen, wie es sich gehört hätte. Und Abram ist tot.«
»Er ist nicht tot«, sagte Lea mit Bestimmtheit und zog aus einem Beutel einen capel nero hervor, den sie Moise triumphierend entgegenhielt.
Moise zuckte zusammen, weigerte sich, den Hut der Venezianer, den Juden nicht tragen durften, diesen capel nero, in die Hand zu nehmen.
»Er beißt nicht«, spottete Lea, »und ich habe ihn dir schon einmal angeboten. Aber du hast ihn ja auch damals nicht gewollt. Obwohl er mich auf immer mit Abram verbinden wird.«
Moise schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Ich denke, dass es wohl ein roter Hut ist, der dich für immer mit Abram verbinden müsste«, sagte er dann zornig. »Der rote spitze Hut, den wir Juden tragen müssen, den auch Abram tragen musste. Und du wolltest ihn dazu überreden, dass er diesen Hut trägt, diesen verbotenen Hut, für den man ihn bestraft hätte?«
»Ich wollte nur, dass er ihn einmal trägt, ein einziges Mal«, verteidigte sich Lea. »Und ich –«
»Ich weiß bis heute nicht, woher du diesen Hut eigentlich hast?«, unterbrach sie Moise.
»Ich hatte ihn auf seinen Sarg gelegt, als wir zum Friedhof auf die Insel fuhren. Aber dann wehte ihn der Wind ins Wasser. Samson fischte ihn heraus und gab ihn mir. Später, obwohl ich ihn da nicht mehr wollte. Aber nun hebe ich ihn eben auf. Für irgendjemand, der ihn eines Tages will.«
Moise nahm den Hut und legte ihn auf Leas Schlafbank, was wohl die endgültige Entscheidung für diesen Hut sein sollte.
»Auch wenn ich diesen Hut weder damals noch heute nehmen werde, so frage ich mich immer noch, weshalb du nicht zu mir gekommen bist mit deinen Plänen?«
»Du hättest mir das Ganze doch sofort auszureden versucht«, verteidigte sich Lea. »Aber ich bin im Kopf ja noch ganz gut, wenn auch nicht mehr auf den Füßen. Und ich muss ja nicht laufen.«
Moise schüttelte ungläubig den Kopf, schluckte dann und schüttelte ihn wieder. »Nein, ich sage ja gar nichts mehr«, erwiderte er dann, als Lea ihn abwartend ansah.
»Und Abram ist nicht tot«, wehrte sich Lea mit aller Bestimmtheit. »Er ist immer bei mir, wenn ich ihn brauche.«
Moise warf die Hände über den Kopf.
»Natürlich ist er das. Und eines Tages macht ihr miteinander Gilgul. Er von Venedig und du von Sulzburg, nach Jerusalem«, spottete er dann.
»Hör auf zu spotten!«, sagte Lea zornig. »Darüber macht man sich nicht lustig. Und wenn der Messias jetzt nicht gekommen ist, dann kommt er eben später. Irgendwann. Er wird kommen. Auch zu jenen, die so ungläubig sind wie du.«
»Aber du hast doch keinerlei Ahnung, was du in Sulzburg vorfinden wirst. Ob du überhaupt dort wohnen kannst. Ob das Haus deines Großvaters noch besteht, ist doch gar nicht sicher.«
»Seine Backstube steht ganz gewiss noch«, sagte Lea mit Entschiedenheit.
»In der Backstube kannst du nicht wohnen.«
»Aber ihren Friedhof werden sie auch noch haben«, meinte Lea in aller Gelassenheit.
»Lea, dieses Sulzburg hast du doch nie gesehen«, sagte Moise behutsam, »du hast davon deinen Kindern erzählt, aber gesehen hast du es nie.«
»Auch Dinge, die man nicht gesehen hat, können wahr sein«, erwiderte Lea. Und ihre Kinder hätten sich nach diesen Geschichten gesehnt.
»Aber du weißt nicht, ob Juden dort wieder wohnen dürfen, verjagt ist verjagt.«
»Nichts ist für die Ewigkeit. Auch Verbote nicht. Auch hier in Venedig wird eines Tages nichts mehr so ein, wie es jetzt ist. Die Tore werden fallen.«
»Jaja, die Tore werden fallen, weil du es so willst und geträumt hast«, sagte Moise gutmütig. »Natürlich werden sie eines Tages fallen. Es fragt sich nur, wann.«
»Die Bilder liegen in einer Mappe unter meiner Schlafbank«, erklärte Lea sachlich, als sie das Gefühl hatte, dass alles gesagt war, was hatte gesagt werden müssen. »Nur für den Fall, dass sich eines Tages jemand für sie interessiert.«
»Welche Bilder denn?«
»Die Bilder, die der Onkel gemalt hat. Die Bilder von unserer Familie. Und dann die Bilder,
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