Stadt der Blumen strava3
Santa-Maria-im-Weingarten zu übernehmen. Ihm war klar, in welcher Gefahr die junge Duchessa schwebte. Giglia würde während der Hochzeitsfeierlichkeiten mit ihren Besuchern stärker bevölkert sein als sonst und es würde schwierig werden, der Duchessa den nötigen Schutz angedeihen zu lassen. Tatsächlich war er etwas überrascht, dass ihr Vater, der Regent Senator Rodolfo, einem Besuch zugestimmt hatte.
Jetzt raffte Sulien seine Kutte zusammen und ging mit großen Schritten auf die Farmacia zu, als habe er einen Entschluss gefasst. Er ging durch den ruhigen, kleineren Kreuzgang mit seinen zahlreichen Seitenkapellen zum großen Kreuzgang, von dem eine Tür in einen Raum führte, der sein Laboratorium war.
Wie jedes Mal, wenn er die beiden Stufen in sein Reich erklomm, atmete Bruder Sulien die wohl duftende Luft mit Erleichterung und Freude ein. In der Stadt mochten sich die Dinge verändern, aber hier in Santa-Maria-im-Weingarten blieb vieles beim Alten – das Labyrinth, das immer beruhigend wirkte, und die Parfüms und Arzneien, die hier destilliert wurden – in der Farmacia, die seit kurzem unter seiner Vormundschaft stand.
Er durchquerte das Laboratorium, in dem sich zwei junge Lehrlinge, beide in den Kutten der Novizen, über die Destillations-Apparate beugten. Nach einem kurzen Nicken begab er sich in den inneren, privaten Raum, kaum größer als eine Zelle, und ließ sich an seinem Pult nieder. Er verfasste zurzeit eine Rezeptliste der Parfüms, Cremes, Lotionen und Arzneien, die hier in der Klosterkirche hergestellt wurden. Kostbare Essenzen waren das allesamt – nicht zu vergessen den berühmten Likör und das trinkbare Silber mit seiner geheimnisvollen Rezeptur.
Doch jetzt schob Sulien sein Pergament zur Seite, setzte sich und starrte einen kleinen blauen Glasflakon mit silbernem Stöpsel an, den er aus einem Regal genommen hatte. Daneben legte er ein Silberkreuz, das er gewöhnlich in einer geschnitzten Holzkiste verschlossen hielt. Beides sah er lange Zeit an. Dann sagte er: »Es ist an der Zeit. Heute Nacht mache ich mich auf die Reise.«
Kapitel 1
Ein blauer Glasflakon
Als Sky erwachte, roch es wie üblich nach Blumen. Aber der Duft war stärker als gewöhnlich, was bedeutete, dass seine Mutter auf war und Flaschen entkorkte.
Das war ein gutes Zeichen; vielleicht würde sie heute arbeiten. Remy, der Kater, lag ihm auf den Füßen – ein weiteres gutes Zeichen, denn es bedeutete, dass er wohl schon zu fressen bekommen hatte. Sky schob ihn zur Seite, ging in die Küche und sah, wie seine Mutter Kaffeepulver in die Kaffeekanne löffelte. Sie wirkte munter und hatte rote Flecken auf den Wangen.
»Hallo, Mum. Morgen«, sagte er und drückte sie kurz.
»Morgen, mein Lieber«, erwiderte sie und lächelte ihn liebevoll an.
»Warum hast du mich nicht geweckt? Es ist schon so spät.«
»Es ist erst halb acht, Sky.«
»Aber das ist doch spät«, sagte er gähnend. »Vor der Schule muss noch eine Wäsche durchlaufen.«
»Läuft bereits«, sagte seine Mutter stolz und goss das kochende Wasser auf den Kaffee. Dann überkam sie plötzlich ein Stimmungswandel und sie setzte sich an den Tisch. »Es kann nicht angehen, dass sich ein Junge in deinem Alter um den Haushalt Sorgen macht«, sagte sie und Sky sah, wie sich ein verräterischer Schimmer von Tränen in ihren Augen bildete.
»Ach was, Unsinn«, meinte er und lenkte sie bewusst ab. »Was gibt’s zum Frühstück? Ich bin am Verhungern.« So früh am Morgen hatte er kein Bedürfnis nach einer der »Wir haben doch nur noch uns«-Szenen. Seine Mutter konnte nichts für ihre Krankheit, deren Schübe so unvorhergesehen auftraten, dass sie an manchen Tagen – wie heute – ganz normal erschien, an anderen jedoch nicht mal aus dem Bett kam, um auf die Toilette zu gehen – was bedeutete, dass Sky sich um ihre intimsten Bedürfnisse kümmern musste. Und es machte Sky nichts aus, für sie sorgen zu müssen; es stimmte ja, dass sie nur noch einander hatten.
Skys Vater war schlicht und ergreifend nicht anwesend, außer auf CD-Hüllen und Konzertplakaten. Rainbow Warrior, der berühmte schwarze Rockmusiker der Achtziger, hatte sich gerade mal eine Nacht lang für die blonde, schüchterne Rosalind Meadows interessiert – aber das hatte gereicht. Als Rosalind feststellte, dass sie schwanger war, hatte ihre beste Freundin, Laura, die sie damals zu dem Warrior-Konzert mitgenommen hatte, ihr zu einer Abtreibung geraten. Aber Rosalind konnte diese
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