Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Titel: Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
Vom Netzwerk:
Stattdessen war ich so müde, dass ich Streichhölzer gebraucht hätte, um meine Augen offen zu halten. Wenn ich nicht schnell wach wurde, konnte diese Nacht für Derek ein bitterböses Ende nehmen.
    Wenn ein Gestaltwandler in die Pubertät kam, wurde er entweder zum Loup oder folgte dem Kode. Zum Loup zu werden bedeutete, der Bestie, die in einem steckte, freien Lauf zu lassen und in einen Abgrund von Mord, Kannibalismus und Wahnsinn zu schlittern, bis man irgendwann schließlich von Reißzähnen, Klingen oder einem Silberkugelhagel aufgehalten wurde. Dem Kode zu folgen bedeutete dagegen eiserne Disziplin und strikte Konditionierung. Sich diesem Lebensstil zu unterwerfen war die einzige Möglichkeit, wie ein Gestaltwandler in der menschlichen Gesellschaft funktionieren konnte. Dem Kode zu folgen bedeutete auch, sich einem Rudel anzuschließen. In diesen Rudeln herrschte absolute Hierarchie, und auf ihren Alphatieren lastete eine immense Verantwortung.
    Das Rudel von Atlanta war eins der größten im ganzen Land. Nur die Ice Fury von Alaska zählte noch mehr Mitglieder. Und die Gestaltwandler von Atlanta zogen jede Menge Aufmerksamkeit auf sich. Dabei vergaßen die einzelnen Mitglieder des Rudels nie, dass die Allgemeinheit in ihnen nichts weiter als Bestien sah, und sie taten, was sie konnten, um einen unscheinbaren und gesetzestreuen Eindruck von sich zu verbreiten. Nicht gebilligte kriminelle Aktivitäten wurden unverzüglich und drakonisch bestraft.
    Dabei erwischt zu werden, wie er in Saimans Wohnung einbrach, konnte für Derek ausgesprochen schmerzhafte Konsequenzen haben. Saiman verfügte über beste Beziehungen, und wenn er wollte, konnte er ein Riesentrara auslösen. Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass das Rudel dieser Sache wegen in aller Öffentlichkeit ein blaues Auge verpasst bekam. Die Alphatiere des Rudels, die gemeinsam den Rudelrat bildeten, waren, seit sie von dem gewaltsamen Todesfall erfahren hatten, wahrscheinlich ohnehin schon auf hundertachtzig. Es war jetzt nicht der richtige Moment, um ihnen zusätzlich auf die Nerven zu gehen. Ich musste Derek aus der Wohnung herausbekommen – so heimlich, still und leise, wie’s nur ging.
    Am Eingang des Hochhauses angelangt, klopfte ich an das Stahlgitter. Aus einem gepanzerten Wachtposten, der sich in der Mitte des Marmorfoyers befand, richtete ein Angestellter eine Kalaschnikow auf mich. Ich nannte ihm meinen Namen, er betätigte den Türöffner und ließ mich herein. Ich wurde also erwartet. Wie nett von Saiman.
    Der Aufzug beförderte mich in die fünfzehnte Etage und entließ mich auf einen luxuriös anmutenden Flur mit einem überaus flauschigen Teppichboden. Ich ging zu Saimans Wohnungstür, und als ich den Finger nach dem Klingelknopf ausstreckte, öffnete sich das Schloss mit leisem Klicken.
    Die Tür ging auf, und vor mir stand Saiman. Er hatte seine neutrale Gestalt angenommen, die er im Umgang mit mir meist anlegte: ein mittelgroßer, schlanker, kahlköpfiger Mann in einem weißen Trainingsanzug. Sein leicht gebräuntes Gesicht war ebenmäßig, zeigte aber keinerlei Ausdruck. Ihm ins Gesicht zu sehen war, als betrachtete man eine leicht spiegelnde Oberfläche: Er liebte es, die mimischen Eigenarten seiner Gesprächspartner zu imitieren, da er wusste, dass er sie damit leicht aus dem Konzept bringen konnte.
    Seine Augen jedoch waren ebenso bemerkenswert wie sein Gesicht ausdruckslos. Sie waren dunkel und von einem agilen Intellekt erfüllt. Gegenwärtig funkelten sie belustigt. Genieße es, solange du noch kannst, Saiman. Ich habe mein Schwert mitgebracht .
    »Kate! Wie schön, dich zu sehen!«
    Kann ich meinerseits nicht gerade behaupten . »Derek?«
    »Komm doch bitte herein.«
    Ich betrat die Wohnung, ein monochromes Designerambiente aus ultramodernen Linien und weichen, weißen Polstern. Sogar der Loup-Käfig, in dem Derek saß, passte bestens zum Chromstahl und Glas des Couchtischs und der Leuchten.
    Derek sah mich an. Er regte sich nicht und gab keinen Ton von sich, aber sein Blick fixierte mich und ließ mich nicht mehr los.
    Ich ging zu dem Käfig. Derek schien unversehrt. »Bist du verletzt?«
    »Nein. Du hättest nicht herkommen sollen. Ich habe hier alles im Griff.«
    Ich machte mir offenkundig ein völlig falsches Bild von der Lage. Jeden Augenblick würde er aufspringen, die fünf Zentimeter dicken Gitterstäbe aus Silberlegierung beiseitebiegen, obwohl Silber für Gestaltwandler das reine Gift war, und sich heldenhaft auf

Weitere Kostenlose Bücher