Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
das?«
»Nein. Das bestätigt nur, dass du eine Psychopathin bist.«
»Was bedeutet das?«
Ich stand auf und holte ihr ein Lexikon. Sie las die Definition. »Ja, das fasst es ziemlich prägnant zusammen. Die Idee sozialer Regeln ist grundsätzlich falsch. Es gibt nur eine einzige Regel in der Welt: Wenn du stark genug bist, es zu tun, hast du das Recht, es zu tun. Alles andere ist eine künstliche Verteidigung, die die Mehrheit der Schwachen errichtet, um sich gegen die Starken zu schützen. Ich verstehe ihre Furcht, aber sie lässt mich kalt.«
Sie war das, was Voron aus mir hatte machen wollen. Keine Reue, keine Bedenken, keine Bindungen.
Ich lächelte.
Sie lächelte zurück. »Was hat dieses Grinsen zu bedeuten?«
»Ich bin glücklich, dass ich nicht so bin wie du.«
»Deine Mutter war sehr mächtig, wie ich gehört habe.« Erra kippte noch mehr Honig in ihre Tasse. »Aber ihre Seele war schwach. Was ist das für eine Frau, die zulässt, dass sie getötet wird und ihr Kind sich ganz allein durchs Leben schlagen muss?«
Nett. »Testest du mich auf wunde Punkte?«
»Es muss sehr hart gewesen sein, ohne Mutter aufzuwachsen.«
»Es hilft, wenn man weiß, dass der eigene Vater sie getötet hat.« Ich trank von meinem kalten Tee. »Das motiviert ungemein.«
Erra blickte mich über den Rand ihrer Tasse hinweg an. »Als Kind habe ich Fische gehalten. Diese schönen hellen Fische mit den bunten Flossen, die nur für mich von weit her beschafft wurden. Ich habe sie geliebt. Mein Erster war blau. Er hat nur zwei Jahre lang gelebt. Als er starb, habe ich mehrere Tage geweint. Dann bekam ich einen neuen. Gelb, glaube ich. Meine Erinnerung ist etwas verschwommen. Nach ein paar Monaten starb auch er. Dann bekam ich den nächsten. Irgendwann wurde es zur Routine, dass meine Fische starben. Ich trauerte ein bisschen und verbrannte ihre winzigen Leichen mit Weihrauch. Danach besorgte ich mir einen neuen, wenn mir danach war.«
»Hat diese rührselige Geschichte auch eine Pointe?«
Erra beugte sich vor. »Die Menschen sind für uns wie Fische, Kind. Der Tod deiner Mutter schmerzt dich, weil sie deine Mutter war und Im dir eine glückliche und geborgene Kindheit geraubt hat. Deine Rachegelüste sind völlig verständlich. Aber für ihn war sie nur ein Fisch. Wir leben sehr lange und die anderen nicht. Mach sein Verbrechen nicht größer, als es ist.«
»Ich werde ihn töten.«
Erra hob die Augenbrauen. »Dazu müsstest du zuerst mich aus dem Weg räumen.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ein bisschen Warm-up kann nicht schaden.«
Sie lachte leise. »Das ist der richtige Kampfgeist. Ich glaube, du könntest meine Lieblingsnichte werden.«
»Ich bin zutiefst gerührt.«
»Genieß das Gefühl, solange du es noch hast. Ich werde mich mit deinen Büchern vergnügen, wenn du tot bist. Durch reinen Zufall ist aus dir ein reinrassiger Sprössling geworden, aber ganz gleich, was du tust, du bist schwächer als ich. Wenn du sie auf der anderen Seite siehst, gib ihr eine Ohrfeige von mir, weil sie geglaubt hat, sie könnte ein Kind unserer Familie austragen.«
Jetzt reichte es allmählich. Ich blickte ihr genau in die Augen. »Du wirst verlieren.«
»Was bringt dich zu dieser Überzeugung?«
»Du hast keine Disziplin. Du tust nichts anderes, als Dinge zu zerstören. Mein Vater ist ein Mistkerl, aber wenigstens baut er etwas auf. Du verwandelst Städte in rauchende Ruinen und tappst herum wie ein hyperaktives Kind, während du alles in deiner Reichweite kaputt haust. Und dann sitzt du hier und fragst dich: ›Warum sind all meine Kinder gewalttätige Dummköpfe geworden? Ein Mysterium der Natur!‹«
Wir erhoben uns gleichzeitig, mit den Schwertern in den Händen. Grendel warf sich gegen die Badezimmertür und bellte hysterisch.
Macht umwirbelte Erra wie ein magischer Umhang. »Also gut. Schauen wir mal, was du draufhast.«
Ich zeigte auf die Tür. »Alter vor Schönheit.«
»Perlen vor die Säue.« Sie marschierte hinaus, und ich folgte ihr. Perlen vor die Säue! Selten so gelacht.
Wir verließen die Wohnung und stiegen die Treppe hinunter. Meine Seite tat immer noch höllisch weh.
Wir traten auf den verschneiten Parkplatz hinaus. Ich schwang, um mich aufzuwärmen, mein Schwert.
»Wie geht es deiner Wunde?«, fragte sie. »Tut sie sehr weh?«
Ich streckte den Hals nach links und rechts und ließ die Wirbel knacken. »Jedes Mal, wenn ich Solomon getroffen habe, grunzte er mit deiner Stimme wie ein abgestochenes
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