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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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bewegte.
    »Sie … wollen mich … damit ich ein Simile , einen Vergleich aufführe?«, fragte ich schließlich.
    »Es ist eine Ehre!«, rief Papa Renshaw.
    »Es ist eine Ehre«, wiederholte Bren. »Ich sehe, dass du das weißt. ›Aufführen‹?« Er wackelte mit dem Kopf in einer Art, die »nun ja«, »ja« und »auf keinen Fall« ausdrückte. »Ich werde dir keine Lügenerzählen. Es wird wehtun. Und es wird nicht schön sein. Aber ich verspreche dir, dass mit dir alles in Ordnung sein wird. Das verspreche ich.« Er beugte sich zu mir vor. »Geld wird für dich drin sein, wie deine Mama gesagt hat. Und außerdem. Darüber hinaus. Das Botschaftspersonal wird dir danken. Und die Botschafter.«
    Renshaw blickte auf. Ich war nicht so jung, dass ich nicht gewusst hätte, was diese Dankbarkeit wert war. Ich hatte eine Vorstellung von dem, was ich zu machen hoffte, wenn ich alt genug sein würde. Und das Wohlwollen des Botschaftspersonals war etwas, das ich sehr gerne haben wollte.
    Ich sagte auch ja zu der Anfrage, weil ich dachte, es würde mich in die Gastgeberstadt bringen. Das war nicht der Fall. Die Gastgeber kamen zu uns, in einen Stadtteil, in dem ich schwerlich jemals gewesen war. Ich wurde in einem Rabenvogel dorthin gebracht, mein erster Flug, doch ich war zu nervös, um mich daran zu erfreuen. Dabei wurde ich nicht von Polizisten begleitet, sondern von Sicherheitsmitarbeitern der Botschaft, deren Körper ein wenig verdreht wirkten vor Augmens und technischen Zusätzen.
    Bren begleitete mich, sonst niemand, nicht einmal einer von den Schichteltern, obwohl Bren gar keine offizielle Funktion mehr in Botschaftsstadt hatte (was ich damals nicht wusste). Das war jedoch noch zu einer Zeit, bevor er sich von der letzten solcher informellen Funktionen zurückgezogen hatte, die denen des Botschaftspersonals ähnelten. Er bemühte sich, freundlich zu mir zu sein.
    Ich erinnere mich, dass wir die Randgebiete von Botschaftsstadt entlangfuhren und ich zum ersten Mal das Ausmaß der riesigen Gichten sah, die uns Bio-Fabrikate und Zubehör lieferten. Während sie sich bogen – feuchte und warme Enden von Siphons, die sich kilometerweit jenseits unserer Grenzen erstreckten –, erblickte ich andere Fahrzeuge über der Stadt: Ein paar waren bio-fabriziert, andere mit alter Terre-Technik ausgestattet, manche chimärisch.
    Wir kamen in einem verwahrlosten Viertel herunter, in dem sich niemand die Mühe gemacht hatte, es vom Stromnetz zu nehmen. Obwohl es fast menschenleer war, wurden seine Straßen von lebenslangen Neon- und Trid-Gespenstern erleuchtet, die mitten in der Luft herumtanzten und Restaurants anpriesen, die schon vor langer Zeit geschlossen worden waren. In den Ruinen einer dieser Gaststätten warteten Gastgeber. Ihr Simile, so hatte man mich vorgewarnt, verlangte, dass ich allein mit ihnen war, und so gab mich Bren in ihre Gewalt.
    Während er dies tat, schüttelte er mir gegenüber den Kopf, so als ob wir darin übereinstimmten, dass irgendetwas ein bisschen absurd war. Er flüsterte, dass es nicht lange dauern und er auf mich warten würde.
    Was in diesem zerbröckelnden einstigen Speisezimmer geschah, war keineswegs das Schlimmste, das ich jemals erlitten habe, oder das Schmerzhafteste oder das Ekelerregendste. Es war ziemlich erträglich. Allerdings stellte es das am wenigsten begreifliche Geschehen dar, das mir jemals passiert ist oder war. Ich war überrascht, wie sehr mich das verunsicherte.
    Eine lange Zeit schenkten die Gastgeber mir keine Aufmerksamkeit und führten stattdessen präzise Pantomimen durch. Sie hoben ihre Präsentflügel, traten nach vorn und zurück. Ich konnte ihren süßen Geruch wahrnehmen. Ich war verängstigt. Man hatte mich vorbereitet: Es war unerlässlich um des Similes willen, dass ich meine Rolle perfekt spielte. Sie sprachen. Ich verstand nur die einfachsten Grundlagen von dem, was ich hörte, und konnte gelegentlich ein Wort herausfischen. Ich lauschte nach dem sich überlagernden Flüstern, von dem mir gesagt worden war, es bedeute »sie«, und als ich es hörte, trat ich nach vorn und tat, was sie wollten.
    Heute weiß ich, dass man das, was ich damals tat, Disassoziierung nennt. Ich beobachtete alles, mich eingeschlossen. Ich konnte das Ende des Ganzen nicht erwarten; ich fühlte nicht, dass sich irgendetwas entwickelte, und ich empfand keine spezielle Verbindung zwischen mir und den Gastgebern. Ich schaute nur zu. Während wir die Handlungen durchführten, die notwendig

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