Stadt der Schuld
gestellt hätte. Aber vielleicht ließ sich etwas in der Art erreichen, wenn sie erst einmal die tonangebenden Damen von Manchesters Gesellschaft auf ihre Seite gebracht hatte.
Deodra Ashworth nickte. »Nun, Sie müssen wissen, dass Mrs Plummer bekannt ist für ihre wohltätigen Veranstaltungen zu allen möglichen Zwecken. Der rein finanzielle Gewinn mag dahingestellt sein, ehrlich gesagt. Ich denke nicht, dass allzu viel dabei herauskommen wird. Aber ihr Einfluss ist dennoch nicht zu unterschätzen. Viele Damen der Gesellschaft in Manchester und besonders die Frauen der einflussreichsten Männer der Stadt hören auf das, was eine Mrs Plummer zu sagen hat. Und wenn diese dann ihren Männern damit in den Ohren liegen, steht Ihrer Schule bald nichts mehr im Wege.«
»Das wäre ja großartig! Am besten, Sie stellen mich dieser Mrs Plummer so bald als möglich vor. Vielleicht in dieser Woche noch? Gerne werde ich ihr von meinen Plänen berichten. Eine einzige Schule kann bei diesen Menschenmassen nämlich nicht allzu viel ausrichten ...«
Deodra unterbrach sie: »Aber ein Anfang wäre doch immerhin gemacht. Sie sind immer so tatkräftig, so forsch, meine Liebe. Woher nehmen Sie nur diese Energie?«
Mary-Ann blickte zu Boden. Sie spürte nur zu gut, dass das Lob auch einen gehörigen Anteil Kritik enthielt. Zu viel Engagement und Einsatz war eben unter Damen nicht allzu gern gesehen.
»Sie haben recht!«, lenkte sie ein, um den in Aussicht gestellten wertvollen Kontakt nicht zu gefährden. »Fassen wir also zunächst das Unmittelbare ins Auge. Ein Gebäude und vor allem einen Lehrer und auch eine Lehrerin für die Kinder beiderlei Geschlechts.«
Mrs Ashworth blickte sie groß an. »Sie wollen auch Mädchen unterrichten lassen?«
»Warum nicht? Haben Mädchen denn kein Anrecht darauf, lesen und schreiben zu lernen?«
»Wozu sollte das gut sein?«, fragte ihre Gesprächspartnerin mit einem spöttischen kleinen Lachen.
»Oh, ich denke, das ist sogar sehr gut.« Mary-Ann lächelte höflich. Die Mädchenschule war ihr ein großes Anliegen und sie würde sich keinesfalls davon abbringen lassen.
»Also, ich fürchte, eine Frau, die sich freiwillig als Lehrerin zur Verfügung stellt, werden Sie nie und nimmer finden. Wo wollen Sie eine solche Person herbekommen? Eine Frau mit entsprechender Ausbildung wird sich doch niemals darauf einlassen, sich mit verwahrlosten Arbeiterkindern zu beschäftigen. Bedenken Sie doch die Umstände, in die sie sich begeben müsste! All dieser Schmutz!« Sie schüttelte sich. »Für die Jungen, nun, da lässt sich vielleicht ein ruinierter Kaufmann oder kleiner Angestellter finden, aber für die Mädchen ...? Ich bitte Sie, Mary-Ann, das wird nicht gelingen können. Und gar eine Frau aus den Arbeiterkreisen selbst, die die entsprechende Bildung vorzuweisen hat, finden Sie gleich zweimal nicht. Das ist doch lächerlich!« Deodra Ashworth schwieg einen Augenblick. Dann sog sie plötzlich ruckartig den Atem ein. »Doch, da fällt mir etwas ein ...«
»Ja?«, fragte Mary-Ann hoffnungsvoll.
»Ach, vielleicht doch nicht.«
»Sprechen Sie doch bitte, Deodra.«
»Ach nein, es war eine unsinnige Idee ...« Mrs Ashworth erhob sich unvermittelt. »Ich habe ohnehin schon viel zu lange Ihre Zeit vertan, meine Liebe. Ich mache mich jetzt wieder auf den Heimweg. Das Treffen mit Mrs Plummer werde ich so bald als möglich arrangieren.«
Mary-Ann erhob sich ebenfalls, etwas erstaunt über den plötzlichen Aufbruch ihres Gastes. »Ja, das würde mich sehr freuen. Vielen Dank für Ihre Hilfe in dieser Sache, Deodra.«
***
»Also, wir machen es wie besprochen«, wandte sich Bill ein letztes Mal eindringlich an die Männer, die im Schatten der Mauer einen Kreis um ihn bildeten, »wir teilen uns jetzt auf in Zweiergruppen. Dann treffen wir uns wieder vor dem Haus der Handelskammer. Es ist zu auffällig, wenn wir uns als Gruppe dorthin begeben und wir müssen sie überraschen. Alles klar?«
Die Männer nickten mit entschlossenen Gesichtern. Die Sache war ausreichend geplant und besprochen. Jetzt war die Zeit des Handelns gekommen. Aaron ging mit Dean, wie Bill es bestimmt hatte. Er war froh, dass Dean, der ihm in den letzten Tagen bereitwillig Unterschlupf gewährt hatte, ihm zugeteilt war und nicht etwa Pickett oder Fraser. Eine seltsame Hochstimmung, ja, Euphorie breitete sich unversehens in Aaron aus und löste die Anspannung ab, die er in den vergangenen Tagen verspürt hatte. Er fühlte sich fast, als
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