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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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würde er schweben, aber er war sich bewusst, dass dieses Gefühl eine gnädige Sinnestäuschung sein musste. Vielleicht fühlten sich so Soldaten vor einer Schlacht? Die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit ihrem Plan scheiterten, war größer, als dass ihnen ihr Vorhaben gelang. Doch daran durfte, wollte er jetzt nicht denken! Aaron presste die Flinte enger an seinen Körper, sorgsam darauf achtend, dass der Mantel, den Bill ihm gegeben hatte, die prügelähnliche Waffe auch vollständig verbarg. Der Stahl war kühl und beruhigend an seiner Seite. Dean ging neben ihm. Aaron sah seinen Freund rasch von der Seite an. Seit gestern hatte dieser beharrlich geschwiegen, sodass Aaron schon zu fürchten begann, er wolle doch noch abspringen. Doch dann war Dean es gewesen, der zum Aufbruch gedrängt hatte. Das Schicksal Deans und seiner Familie hatte Aaron in den vergangenen Tagen deutlich vor Augen geführt, was sie zu erwarten hatten, wenn sie jetzt nicht aufstanden und kämpften. Es war tragisch. Deans ehemals wohl hübsches, lebenslustiges Weib war nach dem Tod ihres dritten Kindes geradezu apathisch geworden. Reglos saß sie den ganzen Tag in ihrer Wohnung und starrte auf die Wände. Nicht einmal Tränen hatte sie. Sie sprach nicht und reagierte auch kaum, wenn man sie ansprach. Es war wirklich bedrückend gewesen. Deans einzig verbliebener Sohn, ein Knabe von zehn Jahren, versuchte zwar, die Familie irgendwie beieinanderzuhalten, aber das gelang dem Kind nur schlecht. Außerdem kränkelte auch dieser Knabe bereits. Es bestand kein Zweifel: Dean und die seinen waren dem Untergang geweiht, es war nur noch eine Frage der Zeit ...
    »Es wird gelingen, Dean, glaub mir«, sagte Aaron in dem Bedürfnis, dem bärenhaften Mann neben sich etwas Zuversicht zu geben. Dean sah ihn einen Augenblick mit ausdruckslosem Blick an, dann zuckte er mit den Achseln und beschleunigte wortlos seinen Schritt. Aaron beeilte sich, ihm hinterherzukommen. Nach einigen Umwegen durch verwinkelte Gassen erreichten sie schließlich die deutlich weiträumigere Portland Street. Kutschen und Droschken fuhren hier zügig hin und her, und es herrschte trotz der hereinbrechenden Dämmerung reges Treiben. Der mächtige Bau der Händler- und Unternehmervereinigung dominierte die Straße. Die Fenster im dritten Stockwerk, dort wo sich laut Fraser der Versammlungssaal befand, waren hell erleuchtet. Das Gebäude wirkte auf Aaron fast wie eine Art Schloss. Vor Jahren war der Bau erweitert, ausgebaut und mit einer prächtigen Fassade versehen worden. Offenbar verfolgten die reichen Geldgeber damit den Zweck, die eigene Bedeutsamkeit für alle sichtbar herauszustellen. Aaron verzog die Lippen zu einem zynischen Lächeln. Er wollte zu gerne sehen, wie bedeutsam sich Ashworth noch fühlen würde, wenn Aaron ihm sein Gewehr unter die Nase hielt.
    Da erspähte er Bill, der ihm von der linken Seite des Gebäudes aus einen Wink gab. Sie sollten also noch warten. Aaron nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte, berührte Dean kurz am Arm und bedeutete ihm, sich mit ihm in den Schatten des Gebäudes auf der gegenüberliegenden Straßenseite zurückzuziehen.
    Die Minuten verstrichen.
    Schnee sammelte sich auf den Schultern der beiden Männer.
    Dann plötzlich ein Pfiff aus Bills Ecke. Das vereinbarte Zeichen zum Losschlagen. Augenblicklich stürmte Aaron, dicht gefolgt von Dean, auf den Eingang des Gebäudes zu. Fast zeitgleich mit den anderen erreichten sie mit blankgezogenen Waffen die kurze Treppe, die hinauf zum Eingang führte.
    Der Erfolg des Überraschungsmoments war erstaunlich.
    Die beiden livrierten Wächter, die das Eingangsportal bewachten, rissen die Augen auf und rannten davon, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, das Eindringen der Angreifer zu verhindern. Ein wilder, triumphierender Schrei drang aus Aarons Kehle. Dann waren sie auch schon durch die Tür hindurch und stürmten die mächtige Holztreppe empor zum Versammlungsraum. Er hörte, wie Bill zu keuchen begann. Die Stockwerke waren gewaltig, wie auch die Treppe. Ein wenig verlangsamte sich ihr Lauf. Da! Das musste der Eingang zum Saal sein: eine doppelflügelige, breite Tür aus dunklem Holz – links und rechts flankiert von weiteren Türen. Ein letzter, kurzer Blick Bills in die Runde. Doch auch Aaron sah nur grimmige Entschlossenheit in den Gesichtern seiner Mitstreiter. Keiner schien Zweifel zu haben.
    Bill ging voran und riss die Tür zum Saal auf. Die anderen drängten augenblicklich

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