Stadt der Schuld
großen Fehler gemacht hat. Wir wollen nicht mehr davon reden. Hast du verstanden, William?«
Im Gesicht des Jungen war die Verwirrung deutlich zu lesen. Was hatte das alles zu bedeuten und wie sah seine Schwester nur aus – so grün und blau geschlagen? Schlicht zum Fürchten!
Doch dann sprang er plötzlich auf. »Cathy, ein Junge kam zu mir in die Fabrik und hat mir das gegeben.« Mit wichtiger Miene förderte er ein zusammengefaltetes Stück Papier aus seiner Hosentasche zutage. »Eine Nachricht für dich – deshalb bin ich schnell nach Hause gelaufen. Ich habe gefragt, da haben sie mich früher gehen lassen.« Cathy entriss ihm hastig das Stück Papier und entfaltete es. Endlich! Eine Nachricht von Aaron, sie erkannte seine Handschrift sofort.
Meine geliebte Cathy,
ich hoffe, diese Nachricht erreicht dich. Es ist etwas geschehen. Ich habe Ashworth angegriffen. Dieses Schwein hat Mary in ein Bordell gesteckt! Ich habe versucht, sie dort herauszuholen, aber es ist mir nicht geglückt. Ich vermute, man sucht mich. Deshalb muss ich mich verstecken, zumindest für die nächste Zeit. Ich muss mich von euch fernhalten. Es ist am sichersten, ihr wisst gar nicht, wo ich mich derzeit aufhalte. Bitte seid vorsichtig und zu niemandem ein Wort! Auch William soll auf keinen Fall mehr zurück in die Fabrik gehen, hörst du!
Ach, Cathy, es fällt mir schwer, dir das zu schreiben. Vermutlich wirst du mich jetzt verwünschen, aber ich konnte einfach nicht anders. Ich hoffe, du verstehst es, verstehst mich ... Es ist einfach zu viel geschehen, das, was Ashworth, dieser Unmensch, mit Mary gemacht hat und all das andere ... ich kann es nicht mehr ertragen. Es ist genug, sage ich!!
Wir sind nicht ihre Sklaven, Cathy! Wir sind doch auch nur Menschen, die in Frieden und Würde leben und unsere Lieben beschützen und aufwachsen sehen wollen. Aber es wird uns verwehrt. Wir haben keine Wahl, wir müssen endlich aufstehen und kämpfen.
Ich weiß, du siehst das anders, aber glaube mir, ich tu es für dich und für unser Kind. Ich sehe keinen anderen Weg mehr. Es muss doch auch für uns eine Chance geben in diesem verfluchten Land!
Ich darf dir nicht mehr sagen, nur so viel: Wir planen eine Aktion. Wenn es uns gelingt, wird alles anders werden, das schwöre ich. Bitte, hab Vertrauen und sorge dich nicht.
Ich liebe dich so sehr!
Aaron
PS. Ich fürchte sehr um Mary. Das arme Ding!
Cathy faltete den Zettel zusammen und sank auf den Hocker am Tisch. Ihre Beine wollten sie nicht mehr tragen. Auf was hatte Aaron sich da nur eingelassen?
Kapitel 31
Queens Park, fünf Tage später
Kapitel 31
Noch etwas Tee, Deodra?«, fragte Mary-Ann Fountley. Zuvorkommend reichte sie Mrs Ashworth, die sie – wie so oft aufgesucht hatte, eine mit duftendem Earl Grey gefüllte Tasse. Diese nickte abwesend. Mary-Ann hatte sehr schnell festgestellt, dass ihre Bekannte nicht in der besten Verfassung war. Sie wirkte fahrig und gereizt und hatte Mühe, der Konversation, um die sich die Gastgeberin redlich bemühte, zu folgen.
»Was ist denn nur, liebe Freundin?«, sagte Mary-Ann schließlich. »Ich bemerke doch, dass etwas Sie beunruhigt. Wollen Sie sich mir nicht anvertrauen?«
Deodra Ashworth schrak sichtlich zusammen und setzte abrupt die Teetasse ab. Ein wenig des goldbraunen Inhalts schwappte über den Rand und floss in die Untertasse. »Es ist nichts ... nichts!« Sie seufzte schwer.
»Liebste Deodra, seien Sie doch bitte offen zu mir und scheuen Sie sich nicht. Ich möchte Ihnen gerne helfen, wenn Sie etwas bedrückt, was immer es auch sein mag.«
Mrs Ashworth seufzte ein zweites Mal. »Ach, es ist eigentlich nur das Übliche. Nun, Henry ist manchmal nicht leicht zu ertragen.«
Mary-Ann Fountley runzelte die Stirn. Selbstverständlich hatte sie schon längst bemerkt, dass die Ehe der Ashworths im Grunde nur der Form halber aufrechterhalten wurde. Die Eheleute waren sich nicht gerade freundlich gesonnen und die unterschwelligen Aggressionen zwischen ihnen waren bei gemeinsamen Theaterbesuchen und Gesellschaften mit Händen zu greifen gewesen. Kein Wunder, dass Mr Ashworth es vorzog, sich vorwiegend in seiner Fabrik in Manchester aufzuhalten. Trotz seines neu erstrahlten Ansehens in Cobdens Bewegung hegte Mary-Ann ein gewisses, wenn auch nicht näher begründetes Misstrauen gegen den Mann, das ihr Gatte allerdings nicht teilte.
»Möchten Sie mir mitteilen, um was es im Einzelnen geht?«, fragte sie vorsichtig. Im Grunde stand es ihr nicht zu,
Weitere Kostenlose Bücher