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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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dann: »Ich hoffe doch, es ist alles gut. Auch mit der Fabrik. Verzeihen Sie, wenn ich frage, aber Sie wirken etwas bedrückt.«
    Die ehrliche Anteilnahme in ihrer Stimme tat ihm gut. Seine Anspannung löste sich ein wenig. »Nein, die Geschäfte laufen sehr gut. Die von mir eingesetzten, neuen Maschinen haben das Unternehmen Ihres Schwiegervaters erstaunlich schnell wieder rentabel und konkurrenzfähig gemacht. Ich bin sehr froh, dass Sie ihn davon überzeugen konnten, in die Modernisierung einzuwilligen. Ihr Geschäftsführer arbeitet auch sehr gut mit meinem Stellvertreter zusammen. Die Fusion hat sich also bezahlt gemacht. Kürzlich erhielt ich die Nachricht, dass die Baker Werke sogar wieder auf Platz zwei der Produktivität in Trowbridge gerückt sind.«
    »Tatsächlich! Welch erfreuliche Nachricht! Sind Sie deshalb gekommen?«
    »Ja«, log Havisham, froh darüber, eine halbwegs plausible Ausrede gefunden zu haben. »Ich denke, die Entscheidung, sich ausschließlich auf das Weben von billigeren, derben Wollstoffen zu verlegen, war mehr als richtig. Die Produktion Ihres Schwiegervaters war zu breit gefächert. Der Bedarf an bezahlbaren und dennoch einigermaßen qualitätsvollen Stoffen für die einfacheren Schichten in der Bevölkerung steigt jedoch ständig, genauso wie die Bevölkerung stetig wächst. Es war also die richtige Entscheidung, das Geld zu investieren und die Produktion umzustellen.«
    »Sicher war es das, Mr Havisham.« Meredith Baker lächelte warm. Er liebte ihr Lächeln. »Rupert sieht das auch so. Er ist sehr dankbar, dass Sie das alles in die Hand genommen haben. Er ist wirklich kein Geschäftsmann, wissen Sie. Seine Interessen sind eher ...«, sie suchte nach passenden Worten und meinte dann mit einem entschuldigenden kleinen Heben ihrer Brauen, »... künstlerischer Natur. Geldgeschäfte verwirren ihn einfach, wie Sie zweifellos bemerkt haben.«
    Merediths Erwähnung ihres Ehemanns ließ Havisham zusammenzucken. Wenn ihre Ehe auch eine Farce war, so fühlte Meredith Baker sich diesem Menschen gegenüber offenbar nach wie vor zu großer Loyalität verpflichtet. Er konnte es einfach nicht verstehen. Der Mann lebte seine widernatürliche sexuelle Neigung aus, trieb es mit anderen Männern und drückte sich in den heruntergekommenen Theater- und Künstlervierteln der Stadt herum. Das musste doch ein Schlag ins Gesicht für sie sein! Wie ertrug sie das nur? Andererseits – was gab gerade ihm das Recht, so hart über Rupert Baker zu urteilen? Die störende Erinnerung an Isobels nackten, malträtierten Körper und die Lust, die er dabei empfunden hatte, diesen so zuzurichten, trieb ihm einen sauren Geschmack auf die Zunge.
    Merediths Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Es war auch überaus großzügig von Ihnen, uns Anteile an der Fabrik zu lassen und trotzdem all diese Investitionen allein zu stemmen. So konnte zum Glück der Ruin abgewendet werden und wir haben wenigstens keine finanziellen Sorgen. Eigentlich geht es uns diesbezüglich besser als vorher. Sie wissen ja selbst am besten, dass es um das Unternehmen meines Schwiegervaters alles andere als gut stand.«
    »Es war das Mindeste, was ich tun konnte«, bemerkte Havisham abwehrend dazu.
    »Es war nicht das Mindeste! Bitte hören Sie doch auf, sich immerzu Vorwürfe zu machen für das, was geschehen ist. Wir sprachen schon so oft darüber. Es war die Tat eines Gentlemans und ich werde Ihnen immer dankbar dafür sein«, wandte sie mit Nachdruck ein. »Wissen Sie, mein Schwiegervater ist immer ein herzensguter Mensch gewesen, aber eigentlich liegt auch ihm das Unternehmerische nicht allzu sehr im Blut. Er ist eher ein Idealist.Es kam ihm darauf an, allen um sich herum zu ihrem Glück zu verhelfen. Er wollte nützlich sein. Er schätzte zuletzt deshalb auch sehr die Werke Carlyles 12 . Ich lese ihm noch öfter daraus vor, aber ich glaube, er kann nicht mehr richtig folgen ... nun ja, ich hoffe, dass es ihm trotzdem Freude macht. Ich kann so wenig für ihn tun.«
    »Sie scheinen wirklich sehr an Ihrem Schwiegervater zu hängen. Selten ist mir eine solch aufopfernde Treue und Verbundenheit wie die Ihre begegnet«, sagte Havisham. In seiner Feststellung schwang unüberhörbar die Frage nach dem Grund dafür mit. Meredith Baker sah ihn nachdenklich an. Der sanfte Blick ihrer jadegrünen Augen bohrte sich unaufhaltsam einen Weg direkt in das Zentrum seines Herzens. Er konnte ihm kaum standhalten, doch da sagte sie: »Die wenigsten wissen, warum

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