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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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Mr Baker sich um mich gekümmert hat, warum er mir Schutz und ein Zuhause bot. In Trowbridge nahm man einfach an, dass er sich eben um eine arme Verwandte bemüht hat. Und Mrs Baker, nun ja, sie hat es irgendwann akzeptiert. Ich habe bisher auch vermieden, jemandem davon zu erzählen.«
    Havisham schluckte. Endlich zog sie ihn ins Vertrauen! Wie sehr er sich danach gesehnt hatte! Vielleicht würde sie ihm nun auch verraten, warum sie Rupert Baker – diesen verkommenen Menschen – geheiratet hatte. Ohne Zweifel hatte dieselbe übertriebene Dankbarkeit dabei eine Rolle gespielt. Oder ... war es doch etwas anderes? Er wagte kaum zu atmen, doch dann sagte er hastig: »Sie müssen mir das nicht erzählen, meine Liebe. Ich meine, ich erwarte es zumindest nicht von Ihnen.«
    »Ich möchte es Ihnen aber erzählen, Mr Havisham.« Sie lächelte scheu. »Ich habe das Gefühl, Sie verdienen endlich meine Aufrichtigkeit, mein Vertrauen! Mehr als das! Mein Schwiegervater hat Ihnen Unrecht getan. Sie sind ein guter Mensch, Mr Havisham.«
    »Nein! Sie täuschen sich! Ich habe ...« Oh Gott! Er spürte, wie er anfing zu zittern und ihm die Stimme versagte.
    Sie beugte sich rasch über den niedrigen Tisch und legte ihre Hand sacht auf die seine. Es war nur eine flüchtige Berührung, doch sie durchfuhr ihn wie ein Blitz. Er konnte den Blick nicht von ihren schlanken Fingern wenden.
    »Was ist mit Ihnen, Mr Havisham? Was quält Sie?«
    »Ich bin nicht das, was Sie von mir denken«, sagte er leise.
    Sie schüttelte unmerklich den Kopf. »Vielleicht denken Sie anders über sich, Mr Havisham. Vielleicht sehen andere Menschen Sie auch ausschließlich als harten Geschäftsmann und Politiker, der nur seinen Vorteil sucht. Etwas, das viele bewundern an Ihnen. Aber ich weiß es besser. Ich kenne Sie und ich ahne, nein ... ich fühle, dass ich Ihnen vertrauen kann. Sie sind ein guter Mensch!«
    Ihre Worte waren wie glühende Nadeln in seinem Inneren. »Meredith, Sie wissen nichts von mir! Gar nichts!«, stöhnte er. Himmel! Er war kurz davor, die Fassung zu verlieren. Eine unerträgliche Scham überflutete ihn.
    Da kam sie zu ihm herüber und setzte sich neben ihn auf die Sitzbank. Wieder legte sie ihre Hand zart auf seine und beließ sie dort. Ihre Nähe machte ihn ruhiger, tröstete ihn. Er hätte sich gerne an sie gelehnt, die Wärme ihres Körpers gespürt.
    »Sie dürfen mich gerne Meredith nennen, Horace. So darf ich doch auch sagen, nicht wahr? Wir sind uns doch nun schon recht vertraut«, meinte sie schlicht, um dann fortzufahren: »Ich will Ihnen etwas sagen, Horace. Auch ich bin nicht, was Sie von mir zu wissen glauben. Auch ich habe mein Geheimnis! Und damit Sie sehen, dass es wirklich keinen Grund gibt, sich ausgerechnet vor mir zu schämen, will ich nun meine Geschichte erzählen. Ich will Ihnen sagen, was ich bin, was mich an das Haus der Bakers bindet, was ich ihnen verdanke und warum ich Rupert geheiratet habe. Und ich hoffe, dass Sie mich danach nicht Ihrerseits verachten.«
    »Wie könnte ich Sie je verachten? Sie sind ein Engel, Meredith!«
    Sie lächelte, doch in ihren Augen sah er Trauer. »Das hat außer meinem Schwiegervater noch nie jemand zu mir gesagt. Die meisten Menschen haben das ganz anders gesehen«, sagte sie. Plötzlich fuhr sie sich mit den Händen über das Gesicht, als wolle sie einer schmerzlichen Erinnerung entkommen. »Meine Mutter war aus guter Familie, müssen Sie wissen«, begann sie. Havisham lauschte gebannt ihrer Stimme – atmete ihre Nähe, ihren Duft.
    »Die Familie war alt und ehrbar, aber leider war die Ehrbarkeit kein Garant für Wohlstand. Tatsächlich waren sie und ihre Mutter völlig verarmt. Mein Großvater hatte keine geschickte Hand in der Verwaltung seiner wenigen verbliebenen Güter bewiesen und so stand meine Großmutter so gut wie mittellos da, als er starb. Meine Mutter war sechzehn zu dieser Zeit. Sie war sehr hübsch und so hoffte meine Großmutter, bald einen geeigneten Ehemann für ihre Tochter zu finden, damit dieser für ihrer beider Auskommen sorgen würde. Es dauerte auch nicht lang, da erweckte meine Mutter das Interesse von gleich zwei jungen Männern. Der eine war der älteste Sohn eines Wollwebers aus Trowbridge. Er war voller Ideen und Interessen und las viele Bücher. Der andere war der einzige Sohn des Baronet of Babington, Mr Michael Goodfeather. Ein gut aussehender junger Mann, dem man aber einen etwas zweifelhaften Lebenswandel nachsagte. Obwohl meine Mutter dem

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