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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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noch ein ernstes Wort zu wechseln haben. Das ging einfach nicht an. Der ausführliche Kondolenzbrief, den Mary-Ann mit durchaus warmen, respektvollen Worten für ihren Onkel geschrieben hatte, reichte bei Weitem nicht aus. Florence hingegen war entschuldigt. Italien war wirklich zu weit entfernt und außerdem war sie schwanger. Ihr wäre die weite Reise wirklich nicht zuzumuten gewesen, genauso wenig wie seinem jüngeren Sohn, der zurzeit aus geschäftlichen Gründen auf den überseeischen Plantagen der Familie weilte.
    »Und Sie wollen wirklich in Kürze nach Italien aufbrechen, liebste Tante?«, fragte Isobel.
    »Selbstverständlich, mein Kind! Ich lasse doch meine liebe Florence nicht allein, wenn sie das erste Mal niederkommt. Da braucht eine junge, unerfahrene Frau doch die Mutter an der Seite«, plapperte Lady Branford eifrig. Der Earl legte die Stirn in Falten. Diesem Vorhaben seiner Gattin stand er nicht sehr positiv gegenüber. Er hasste Italien und ganz besonders Rom. Die Stadt ging ihm auf die Nerven, auch wenn halb London davon schwärmte und scheinbar ständig dorthin fahren musste, um sich irgendwelche verfallenen Tempel und angebliche Kunstschätze von Weltruhm anzuschauen. Er selbst konnte damit herzlich wenig anfangen. Die Stadt war laut, heiß und stank erbärmlich. Hatte man in England denn nicht genug Kultur? Musste man sich deshalb in Strömen ins Ausland ergießen, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt? Aber nein! Auf ihn hörte ja keiner. Seine Frau am allerwenigsten. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, nach Italien zu ihrer armen, armen Florence zu fahren, wie sie ständig betonte, und sich mit Hingabe den Vorbereitungen für die Geburt des sehnsüchtig erwarteten Enkelkindes zu widmen. Dabei hatte sie doch schon vier. Unverständlich, ja, närrisch – aber so waren Frauen eben nun einmal!
    Da senkte seine Nichte den Blick und seufzte: »Ach, ich wünschte, ich könnte Sie begleiten, liebste Tante. Wie sehr ich mich über das Glück meiner lieben Cousine freue. Doch ich fürchte, Florence wird mich nicht sehen wollen.«
    Seine Gattin lächelte gequält. »Ja, ich gebe es ungern zu, mein Kind, aber sie hegt noch immer einen gewissen Groll gegen dich, den ich keinesfalls unterstütze, möchte ich anfügen. Sie sollte wirklich nicht so unversöhnlich gegen dich sein. Letztlich hat deine mutige Aufrichtigkeit damals doch alles zum Guten gewendet, nicht wahr? Wir haben dir sicher Unrecht getan, mein Kind.«
    Isobel nickte bekümmert. »Es hat mir damals ja so leid getan, all das mit Florence. Hätte ich nur geahnt, dass sie sich etwas antun ...«
    Der Earl räusperte sich vernehmlich.
    »Wir ziehen es vor, diesen Vorfall nicht mehr zu erwähnen, mein liebes Kind. Das konntest du nicht wissen«, sagte Lady Branford mit einem raschen Blick zu ihm hin.
    »Oh, verzeihen Sie mir bitte, liebste Tante und liebster Onkel!«, sagte die junge Frau schnell.
    »Aber ich versichere Ihnen, es ging mir damals wirklich nur um Florences Wohl. Sie hätte sich bestimmt ins Unglück gestürzt, wenn sie einfach davongelaufen wäre. Ich wünschte nur, dass meine beiden Cousinen mir endlich vergeben wollen. Ich fühle mich oft so bedrückt deshalb.«
    »Ach Kind, auch mir ist diese unglückliche Sache ein schwärender Dorn im Fleische!«, seufzte Lady Branford. »Schließlich bist du doch Blut von unserem Blut und hast es doch nur gut gemeint.«
    »Gewiss, das habe ich«, sagte die Nichte und ließ den Kopf noch mehr hängen. Ja, der Earl meinte, sie jetzt leise schluchzen zu hören.
    »Havisham, mein Lieber, sollen wir uns noch einen Brandy genehmigen, bevor wir uns zur Kirche aufmachen?«, fragte er rasch. Er hasste es, wenn Weiber zu gefühlvoll wurden. Er fühlte sich dann immer so hilflos. Zu seiner Erleichterung stimmte der zu und erhob sich.
    Der Earl war noch vor ihm aus dem Zimmer hinaus, hörte aber gerade noch, wie seine Gattin die Nichte zu beruhigen versuchte, indem sie ihr wortreich versprach, sich mit allen zu Gebote stehenden Mitteln respektive ihrer mütterlichen Autorität für eine Versöhnung zwischen den Cousinen einzusetzen. Sollte sich nur seine Gattin darum kümmern. Diese komplizierten Beziehungsdinge und Stimmungen waren ein Feld, auf dem er sich extrem unwohl fühlte, weit schlimmer als Parlamentsdebatten – und diese konnten schon recht quälend sein.
    »Bibliothek?«, fragte Havisham.
    »Warum nicht, mein Bester?«, gab der Earl aufgeräumt zurück. »Ich hole mir nur noch rasch

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