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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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vor ihm. Ich aber, ich kenne Horace Havisham.« Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und lief schluchzend aus dem Zimmer.
    »Ja ... das ... äh, nun ... ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, sagte der Earl. Die Hilflosigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Dann fiel ihm doch noch etwas ein: »Würdest du bitte nach unserer Nichte sehen, meine Liebe?«, wandte er sich an seine mindestens ebenso erschütterte Gattin, die seiner Bitte auch umgehend Folge leistete. Um Himmels willen, man wollte in weniger als einer Glocke zur Kirche aufbrechen. Bis dahin sollten sich die Wogen doch wieder glätten lassen, mussten sich glätten lassen! Was würde sonst für ein Bild in der Öffentlichkeit entstehen?
    »Mylord«, wandte sich Mr Gruber an den Earl, der sich ermattet auf einem der Polsterstühle am Tisch niedergelassen hatte und sich gerade in seiner Aufregung noch ein Stück Kuchen nahm, »ich denke, ich sollte Sie nicht im Unklaren lassen, dass nicht alles, was die Herrin eben in ihrer Erregung vorgebracht hat, den Tatsachen entsprechen kann, wiewohl mir natürlich eine Beurteilung des Geschehens nicht ansteht.«
    »So? Ja ...« Der Earl zerkrümelte den Butterkuchen zwischen seinen Fingern.
    »Ich bin darüber informiert – soweit ich Einblick in die Geschäfte meines Arbeitgebers Mr Havisham habe –, dass er sehr wohl enge geschäftliche Beziehungen zu dieser Familie Baker unterhält. Tatsächlich hat er sich in das Unternehmen Mr Bakers senior vor über eineinhalb Jahren eingekauft, da es vor dem Ruin stand. Mr Havisham hat es saniert und wieder in eine gewinnbringende Situation gebracht. Sein Verhalten gegenüber der Familie dieses Mr Baker wirkt untadelig, ja geradezu großherzig. Eine Haltung, die durch seine jüngsten Entscheidungen für die ihm untergebenen Menschen hier auf Whitefell bestätigt wird.«
    »Ja ... ich danke Ihnen, äh Mr Gruber«, sagte der Earl irritiert.
    Gruber ließ nicht locker. »Mylord, was ich damit sagen will ist lediglich, dass Sie vielleicht mit Mr Havisham selbst noch einmal sprechen sollten, bevor Sie voreilige Schlüsse ziehen, die zum Schaden von Mr Havisham sein könnten. Ich habe gerade in jüngster Zeit den Eindruck gewonnen, dass Mr Havisham nichts ferner läge, als seiner Umgebung, respektive seinen Mitmenschen, Schaden zuzufügen.«
    Der Earl ließ den Kuchen Kuchen sein, wischte sich die Hände an der Serviette ab und erhob sich. »Ähm, ja, Gruber ...«, er räusperte sich vernehmlich, »das Ganze ist in der Tat recht unangenehm. Allerdings, Sie verstehen das sicher, handelt es sich hierbei um Familienangelegenheiten der Herrschaft, derer Sie nun leider Zeuge geworden sind. Das Verhalten meiner Nichte war gewiss unbeherrscht, ist aber gewiss dem jüngst erlittenen, bitteren Verlust ihres Vaters geschuldet. Am besten, wir vergessen das Ganze, nicht wahr? Die junge Dame wird sich sicher wieder beruhigen.«
    Gruber verneigte sich höflich. »Gewiss, Mylord. Es lag nicht in meiner Absicht, mich in Angelegenheiten zu mischen, die mich nichts angehen. Verzeihen Sie mir.«
    »Wann brechen wir auf?« Der Earl war offenbar darauf erpicht, das Thema zu beenden. Gruber folgte seiner unausgesprochenen Bitte umgehend.
    »Ich werde Sie und die Damen in zwanzig Minuten vor dem Hauptportal erwarten, die Kutsche steht bereit. Bis zur Kirche brauchen wir nicht mehr als eine Glocke, es ist also noch genügend Zeit, Mylord.«
    »Ja, danke, Gruber. Das wäre dann alles!«
    ***
    Die Besucher des Gottesdienstes zerstreuten sich allmählich. Auch die Kutsche mit den Herrschaften hatte soeben den Kirchplatz von Little Langford verlassen und war zurück in Richtung Whitefell gerollt. Gruber dachte nach. Das beschämende und keineswegs glaubwürdige Verhalten Isobel Havishams hatte ihn die ganze Predigt über beschäftigt. Irgendetwas führte diese Person im Schilde, dessen war er sich sicher. Dazu der jähe Aufbruch des Herrn nach London, seine übermäßig gedrückte Stimmung und die alarmierende Bemerkung bei ihrer Unterredung am Vormittag ... Gruber wurde das ungute Gefühl nicht los, dass sich eine dunkle Wolke über Whitefell und damit über ihrer aller Leben zusammenbraute, trotz der positiven Ankündigungen, die er den Dörflern und Landarbeitern eben nach der Andacht noch hatte überbringen dürfen. Doch er sah sich außerstande, die Ursache für seine dunklen Ahnungen ausfindig zu machen. Er hatte einfach nicht genügend Informationen.
    Möglicherweise gab es aber eine andere

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