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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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haben musste, doch dann ging sie ihr entgegen und schloss die Tochter ihres verstorbenen Onkels für einen sehr kurzen Moment in die verwandtschaftlichen Arme. Für Onkel Francis konnte sie dieses Opfer wohl bringen. »Ich hoffe, du hattest eine gute Reise? Ich hatte dich noch nicht so früh erwartet.«
    »Ach!«, seufzte Isobel schwer. »Es war doch recht strapaziös. Ich musste die ganze Nacht hindurch fahren und jetzt fühle ich mich wie zerschlagen. Ich sah jedoch keine andere Möglichkeit.« Sie zückte ihr spitzenverziertes Taschentuch und fuhr sich rasch über die Augen. »Ich nehme an, du ahnst, weshalb ich euch so überstürzt aufsuchen musste. Schreckliche Dinge sind über mich gekommen. Es ist ein Albtraum!«
    Sie kommt wenigstens ohne Umschweife zur Sache, dachte Mary-Ann. »Falls du dich ein wenig ausruhen und frisch machen möchtest, dein Zimmer ist natürlich vorbereitet und geheizt. Du kannst dich gerne erst einmal zurückziehen.«
    »Wo ist denn mein lieber Schwager?«, fragte Isobel, ohne das gut gemeinte Angebot ihrer Cousine auch nur mit einem Wort zu kommentieren.
    »Oh, er hat sich bereits auf den Weg in die Kanzlei gemacht. Seit in der League der Ankauf von Landbesitz vorangetrieben wird, hat er wirklich alle Hände voll zu tun. Er musste schon zwei weitere Juristen einstellen.«
    »So ist er gar nicht im Hause?«, fragte Isobel enttäuscht. »Ich hatte so sehr gehofft, so bald als möglich mit ihm sprechen zu können.« Sie sah Mary-Ann für einen Moment in die Augen. »Ich weiß, dass es dir vielleicht ein wenig impertinent vorkommen mag, liebste Mary-Ann, dass ich gleich um eine Unterredungsmöglichkeit mit Godfrey bitte, aber weißt du, außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliches Handeln. Und weiß Gott, ich bin in einer außergewöhnlichen Situation, in einer geradezu entsetzlich außergewöhnlichen Situation. Es tut mir wirklich leid, Mary-Ann. Ich wünschte, ich könnte etwas ...«, sie machte eine kleine, aber bedeutsame Pause, »... konventioneller sein, aber ...«
    Mary-Ann beobachtete indigniert, wie nun Tränen in den blassblauen Augen ihrer Cousine aufschimmerten. Warum gelang es ihr nur nicht, Isobel die doch sehr berechtigte Erschütterung abzunehmen? Sie sollte sich wirklich um mehr Mitgefühl für ihre Cousine bemühen, die sich in der Tat in einer prekären Situation befand. »Komm nur erst einmal herein, meine Liebe«, schlug sie vor, »du wirst sicher erst einmal etwas essen wollen.«
    »Ja, das ist wohl das Beste«, stimmte Isobel zu und folgte ihrer Cousine in den kleinen Speisesaal.
    Isobels Appetit war, wie Mary-Ann bald feststellen konnte, nicht von ihrer seelischen Qual beeinträchtigt worden. Sie sprach den Köstlichkeiten, die Mary-Ann rasch hatte auftragen lassen, ausgiebig zu. »Du wirst also heute Nachmittag ohnehin nach Manchester fahren?«, versicherte sich Isobel und nahm sich noch ein gebratenes Schweinswürstchen.
    »Ja, es ist mir selbst nicht recht, glaube mir. Ich hätte die Verabredung gerne verschoben, aber Mrs Bentley möchte morgen abreisen und es ist mir sehr daran gelegen, ihr die Schule noch zeigen.«
    »Aber liebste Mary-Ann, das ist doch im Gegenteil überhaupt kein Problem.« Isobel lächelte gewinnend. »Selbst wenn ich gerade in höchsten Nöten bin, so bin ich doch nicht blind für die Leiden der Menschen um mich herum. Da schätzt du mich ganz falsch ein. Ich würde mir deine Schule auch gerne ansehen. Wir können ja dann danach sogar noch zu Godfrey fahren. Ist seine Kanzlei weit von der Schule entfernt?«
    »Nein, überhaupt nicht, nur eine kurze Strecke mit der Kutsche.« Mary-Ann staunte. Tatsächlich hatte sie erwartet, dass Isobel in lautes Lamento ausbrechen würde, aber das Gegenteil war der Fall. Vielleicht hatte sie sich ja doch geändert. »Es werden uns einige sehr wichtige Damen aus Manchester begleiten. Ich wollte dir das angesichts deiner angespannten Lage und deiner Müdigkeit wirklich ersparen. Bist du dir sicher, dass du nicht bis zum Abend warten willst, bis Godfrey zurückkehrt? Es könnte allerdings spät werden.«
    »Nein, meine Liebe«, Isobel lächelte zuckersüß, »deine Fürsorge ist reizend, ich weiß das wirklich zu schätzen, aber mir ist es lieber, wenn ich so bald als möglich mit ihm sprechen kann und die Ablenkung wird mir guttun, glaube mir.«
    »Gut, dann ist das also geklärt.« Mary-Ann erhob sich. »Ich habe dein Gepäck bereits nach oben bringen lassen. Du kannst dich, wenn du magst,

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