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Stadt der tausend Sonnen

Stadt der tausend Sonnen

Titel: Stadt der tausend Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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aus den Bewegungen der anderen, was sie fühlen, weshalb sie tief atmen, wenn sie sich freuen, oder warum sie die Schultern hängen lassen, wenn sie Angst haben. Und ich habe Jon in den vergangenen Monaten beobachtet … Ja, ich hoffe, es geht gut.«
    »Du und Dr. Koshar, ihr wart euch doch recht nahe.« Petra beugte sich über den Tisch. »Hast du eine Ahnung, wo sie hingegangen sein könnte?«
    Alter blickte auf. »Das ist es ja eben. Bis zum Augenblick am Schluß waren wir immer beisammen, unterhielten uns über alles, lachten miteinander. Dann ging sie weg. Zuerst glaubte ich, sie hätte sich wieder in sich selbst verkrochen, wie damals, als ich sie kennenlernte. Doch dann erhielt ich mehrere Briefe von ihr, sie schrieb, sie arbeite an einer neuen Feldtheorie. Da dachte ich, daß sie endlich ihren inneren Frieden gefunden habe. Aber dann kamen keine Briefe mehr. Und nun plötzlich gibt sie ihre Arbeit, ihre Stellung auf. Das kommt mir sehr merkwürdig vor.«
    »Fast genauso merkwürdig«, murmelte die Herzogin abwesend, »wie ein Land, das sich mit seinem, in einem Computer gefangenen Spiegelbild im Krieg befindet.«
     

 
3.
     
    Was denkt man sich, wenn man seinen Vater nach fünf Jahren Zwangsarbeit und drei Jahren voll Abenteuer, die man leicht als landesverräterisch bezeichnen könnte, wiedersieht? Die Antwort war eine Furcht tief in seiner Kehle, die seinen Schritt und gewiß auch seine Zunge hemmte, wenn er sprechen wollte. Aber auch andere Ängste begannen zurückzukehren. Da war diese namenlose Furcht aus seiner Kindheit, die etwas mit einem Frauengesicht – das seiner Mutter? – zu tun hatte, und ebenfalls mit dem eines Mannes, seines Vaters, aber es war alles so vage. Mit achtzehn hatte er eine ganze Woche voll Angst erlebt. Sie hatte mit einer lächerlichen Herausforderung eines falschen Freundes angefangen, der der jetzt verstorbene König von Toromon gewesen war, und geendet hatte sie mit tölpischer Panik, einem Strahl aus seiner Energieklinge und dem Tod eines Palastwächters, der ihn aufzuhalten versucht hatte. Dann folgten fünf Jahre in der Strafmine (er war lebenslänglich, nicht nur zu fünf Jahren verurteilt worden), in denen Grimm und Demütigung ihn auffraßen und Haß auf die Wächter, das schadhafte Werkzeug, die endlosen Stunden unter Tag, wo der Stein seine Hände aufschürfte, und auf den Weg von der Baracke zur Mine und zurück, wenn die hohen Farne gegen seine schmutzstarre Sträflingskluft streiften. Das einzige Mal jedoch während seiner Haft, als die Angst sich unverhüllt seiner bemächtigt hatte, war damals gewesen, als man über einen Fluchtversuch zu raunen begann. Es war nicht die Angst vor der Strafe gewesen, sondern vor den Worten selbst, weil sie unkontrollierbar waren, weil sie zu dem Unerwarteten in dem strengen Reglement seines Gefangenenlebens gehörten. Er hatte sich dieser Angst auf seine Weise gestellt, indem er sich an den Plänen beteiligte, indem er mit seinen Händen schaufelte, die Schritte der Wachen von der Baracke bis zum Wachthaus am Rand des Lagers zählte. Als der Plan feststand, gab es nur drei, ihn durchzuführen. Er war der jüngste von ihnen gewesen. In dem leichten Regen hatte er sich neben die Stufen des Wachthauses geduckt und auf seine Freiheit gewartet.
    Während seines Spurts in die Dunkelheit, als die nassen Farnwedel gegen ihn peitschten, hatte er keine Angst gekannt, dazu war gar keine Zeit gewesen. Sie erwachte erst wie eine Explosion, als er die anderen beiden aus den Augen verloren hatte; als er aus dem Dschungel zu nahe an den Rand der Strahlungsbarriere gekommen war; als er die Türme Telphars im Morgengrauen gesehen hatte; und dann, als völlig unerwartet etwas über die Entfernung eines ganzen Universums hinweg von den Sternen auf ihn einschlug.
    Dann kam das Abenteuerleben. Es hatte Gefahren gegeben, und er war müde gewesen, aber die Angst, wie er sie jetzt empfand, hatte gefehlt.
    Er stieg die früher so vertrauten Eingangsstufen zum Haus seines Vaters hoch und blieb vor der Tür stehen. Als er den Daumen zum Abdruckschloß hob, dachte er: Finde ich durch sie die Freiheit?
    Es war lange her, seit das Schloß zum letztenmal seinen Abdruck gelesen hatte. Das dunkle Holz schwang zurück, und er trat in den Vorraum. Er fragte sich, ob sein Vater sich wohl auch so sehr verändert hatte wie er selbst? Wenn seine tägliche Routine noch dieselbe war, arbeitete er jetzt im Eßzimmer.
    Jon schritt vorbei an den blauen Wandbehängen, dem

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