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Stadt der tausend Sonnen

Stadt der tausend Sonnen

Titel: Stadt der tausend Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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nichts«, versicherte er ihm. »Ich will dich nur was fragen.«
    Der Junge schluckte. »Ich wollte Ihr Haus nicht beschmieren, Mister.«
    »Es ist nicht mein Haus«, beruhigte ihn Jon, der sich bewußt wurde, um wieviel besser er gekleidet war als der Junge. »Was schreibst du da? Woher kennst du das?«
    »Ha?«
    Jon ließ den jungen Burschen frei. »Du hast doch angefangen, etwas an die Wand zu schreiben. Warum? Von wem hast du es gehört? Wer hat es zu dir gesagt?«
    Der Bursche schüttelte den Kopf.
    »Ich will dir doch nichts tun«, versicherte ihm Jon erneut. »Wie heißt du?«
    Schwarze Augen blickten hastig nach rechts, dann links, ehe sie sich Jon zuwandten. »Kino«, murmelte der Junge. »Kino Nlove.«
    »Du bist aus dem Höllenkessel, nicht wahr?«
    Der Blick des Jungen huschte von seinen Fetzen zu Jons Anzug.
    »Ich begleite dich ein Stück«, sagte Jon. Kino starrte ihn mißtrauisch an, schwieg jedoch. »Du wolltest doch schreiben, ›Du bist gefangen in dem klaren Augenblick, der dir die Ausweglosigkeit zeigte‹, nicht wahr?«
    Kino nickte.
    »Ich habe diesen merkwürdigen Spruch schon an verschiedenen Stellen in der Stadt gesehen. Du mußt dich ja ganz schön angestrengt haben.«
    »Ich habe sie nicht alle geschrieben«, brummte Kino.
    »Das habe ich mir schon gedacht. Aber ich möchte gern wissen, woher du diesen Spruch kennst, denn mich interessiert, wer ihn als erster geschrieben hat.«
    Kino schwieg ein Dutzend Schritte lang. »Angenommen, ich hätte ihn als erster geschrieben. Was haben Sie schon davon?«
    Jon zuckte die Schultern.
    »Ich habe ihn als erster geschrieben«, sagte Kino in einem Ton, als erwarte er nicht, daß Jon ihm glaubte. Dann fügte er hinzu. »Ich habe ihn nicht als erster gesagt und ihn mir auch nicht ausgedacht. Aber geschrieben habe ich ihn als erster. Und danach habe ich gesehen, daß er an verschiedenen Stellen geschrieben war, wo ich es bestimmt nicht getan habe. Das ist mir sehr komisch vorgekommen.«
    »Weshalb?«
    Kino lachte. »Weil ich genau wußte, daß das geschehen würde. Ich wußte, daß andere ihn auch schreiben würden, daß sie darüber nachdenken, daß er ihnen nicht mehr aus dem Kopf gehen würde. Und ich dachte mir, das ist das verdammt Komischste in ganz Toromon. Sie denken ja auch darüber nach, oder vielleicht nicht?« Seine Stimme klang plötzlich vertraulich. »Ich hab’ allerdings nicht gedacht, daß mir deshalb jemand wie ein Irrer nachlaufen würde.«
    »Ich habe dir doch nichts getan, oder?«
    »Nein.« Kino lachte wieder.
    »Von wem hast du den Spruch gehört?« fragte Jon.
    »Von einem Freund. Er ist ein Mörder, ein Dieb, ein Dichter. Er war einmal Boß einer Dissibande, drüben im Kressel. Und von ihm ist er auch.«
    »Woher kennst du ihn? Deinen Freund, meine ich.«
    Kino hob eine schwarze Braue. »Ich gehörte zu seiner Gang.«
    »Und wie heißt er?«
    »Vol Nonik.«
    »Wann hat er diesen Spruch zu dir gesagt?«
    »Gestern morgen.«
    Jons Neugier wuchs. »Was für eine Art Mensch ist er denn, dieser Mörder, Dieb, Dichter und Dissiboß? Und wie ist er dazu gekommen, das gestern zu dir zu sagen?«
    »Warum wollen Sie das wissen?« fragte Kino. »Sie glauben es ja doch nicht.«
    »Ich weiß es selbst nicht«, gestand Jon. »Aber ich werde es glauben.«
    »Sie sind ein komischer Kerl, und Sie reden komisch, fast wie ein Dissi.«
    »Wie meinst du das?«
    »Sie wollen komische Dinge wissen und alles glauben. Das macht einen Menschen zum Dissi, hat Vol zu mir gesagt. Er hat gesagt, wenn einer seine Nase in die echte Welt steckt, kommt er wütend heraus und will wissen, wie sie funktioniert, und er wird jedem glauben, der es ihm sagt, ob es nun stimmt oder nicht.«
    »Vol Nonik hat das gesagt?«
    »Ja. Wo waren Sie denn, wo sie echt ist, feiner Pinkel?«
    »Wie?«
    »Wo waren Sie denn schon in Ihrem schönen Anzug? Doch nicht dort, wo der Hunger den Magen zwickt und der Tod einem sagt, daß man nicht frei ist?« Wieder lachte Kino. »Das ist Dissislang, verstehen Sie?«
    »Ich war im Straflager und wäre in den Minen fast verreckt.«
    »Sie waren in den Minen?« fragte Kino überrascht. Er schlug Jon freundschaftlich auf die Schulter. »Großartig. Mann!«
    »Was ist jetzt mit Vol Nonik?«
    »Es kann wohl nichts schaden«, brummte Kino und kaute überlegend an einem Nagel. »Was wissen Sie über die Dissis?«
    »Als ich ins Arbeitslager kam, hatten sie noch nicht einmal den Namen, obwohl es die Anfänge schon gab. Ich hörte ein paar Burschen von

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