Stadt des Schweigens
Dienstwagen der Stadtpolizei von Cypress Springs.
„Sie sind hier“, sagte Cherry mit zittriger Stimme und sah Hunter an. „Und was jetzt?“
Er dachte einen Moment nach. „Einer von uns sollte hier bleiben und Wache halten. Er muss den Motor laufen lassen, falls wir schnell abhauen müssen, und hupen, wenn es Schwierigkeiten gibt.“
Hunter und Cherry sahen ihre Mutter an, dann einander und stimmten schweigend überein, dass sie unfähig war, diese Verantwortung zu übernehmen.
„Ich bleibe hier“, sagte Cherry. „Und Mom bleibt bei mir. Du nimmst die Waffe.“
Lilah wollte etwas einwenden, doch Hunter ließ sie nicht zu Wort kommen. „Falls es eine Schießerei gibt, will ich mir um niemand anders Sorgen machen müssen als um meinen eigenen Hintern. Kapiert?“
„Da stimme ich dir absolut zu“, erwiderte Cherry rasch.
Sie reichte ihm die Waffe mit dem Griff voran. „Du weißt, wie man damit umgeht?“
Er nahm sie ihr ab. Genau wie seinen Geschwistern war auch ihm der Umgang mit Waffen von Kindesbeinen an vertraut. Es war zwar lange her, dass er eine Waffe in der Hand gehabt hatte, aber manches verlernte man nie. Er überprüfte die Kammer, sah, dass sie voll geladen war, und ließ die Waffe zuschnappen. „Ja“, erwiderte er. „Zielen und schießen.“
Er kletterte aus dem Wagen. Mit gezogener Waffe ging er zu den abgestellten Fahrzeugen hinüber und schaute hinein. Beide waren leer.
Er sah zu Cherry und deutete auf die Hütte. Seine Schwester nickte.
Vorsichtig ging er auf das alte Gebäude zu. Es war eine traditionell gebaute Hütte, und er stieg die drei Stufen zur Veranda hinauf, die, halb verrottet, unter seinem Gewicht knarrten.
Die Tür war unverschlossen. Vorsichtig schob er sie auf, schlüpfte hindurch und verharrte lauschend.
Es war still – zu still. Er spürte, wie sich die Haare auf seinen Armen vor Unbehagen aufrichteten. Langsam schob er sich durch den Hauptraum zur Küche. Sie war leer. Das kleine Fenster über dem Spülbecken stand offen. Fliegen summten um einen überquellenden Abfalleimer. Und er entdeckte schmutziges Geschirr im Spülbecken.
Offensichtlich war die Hütte vor kurzem noch bewohnt worden. Er fuhr herum und ging zum Bad, das so leer war wie die anderen Räume.
Blieb noch das Schlafzimmer. Mit Herzklopfen ging er hinein. Sein Blick fiel auf das Bett, an dessen unteren Pfosten Nylonseile befestigt waren, deren Enden sich über die nackte Matratze schlängelten.
Jemand ist hier ans Bett gefesselt worden. Er hatte das Gefühl, als wiche das Blut aus seinem Kopf, und hielt sich stützend am Türknauf fest. Nicht irgendjemand, sondern Avery.
Er ließ den Blick schweifen und erstarrte. Hinter dem Bett lugte die Spitze eines Stiefels hervor. Eines Stiefels, den er kannte – Alligatorleder in grünlichem Schwarz.
Sein Vater trug solche Stiefel. Er hatte sie aus dem Leder eines Tieres machen lassen, das er vor zwanzig Jahren erlegt hatte.
Hunter wollte es nicht wahrhaben, als er weiter in den Raum und um das Bett herum ging. Sein Vater lag, mit dem Gesicht nach unten, in einer Blutlache, der Kopf in unnatürlichem Winkel verdreht.
Taumelnd wich Hunter zurück, wandte sich ab und lief durch die Hütte auf die Veranda hinaus. Seine Schwester saß bei offener Tür noch hinter dem Steuer. „Cherry!“ rief er, „alarmiere die Ambulanz über Dads Funk. Sag ihnen, es hat einen Officer erwischt.“
Besorgt sprang sie aus dem Wagen. „Einen Officer? Dad, oder …“
„Tu es, Cherry! Sofort!“
Ohne auf eine Antwort zu warten, kehrte er zu seinem Vater zurück, kniete sich neben ihn und tastete vergeblich nach einem
Puls.
Da er ein Geräusch hörte, drehte er sich um. Lilah stand in der Tür, den Blick auf ihren Mann geheftet, und ein hoher, schrecklicher Schrei entrang sich ihrer Kehle.
Jetzt tauchte auch Cherry hinter ihr auf und blieb wie angewurzelt stehen. „Dad?“ Sie wurde leichenblass. „Nein.“ Ungläubig schüttelte sie den Kopf. „Nein!“
Lilah machte einen Schritt auf ihren Mann zu. Hunter sprang auf, nahm sie in die Arme und hielt sie zurück. Sie wehrte sich, trommelte ihm mit den Fäusten gegen die Brust und schimpfte.
Er hielt sie fest, bis ihre Kräfte nachließen. Dann sah er seine Schwester an. „Hilf mir, sie hinauszubringen.“
Cherry blinzelte nur, und ihre Lippen bewegten sich stumm.
Er sah, dass sie zitterte. Sie stand selbst kurz vor einem Zusammenbruch.
„Cherry“, sagte er leise. „Dies ist ein Tatort. Die Polizei
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