Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
Vom Netzwerk:
verlassen und teilweise verfallen.
    Es lagen keine Skelette herum, so daß man eher auf Auszug als auf Tod schloß.
    Der Familien verband schien vor mehreren Jahren weggezogen zu sein, und behelfsmäßige Anbauten zeigten, wie groß der Verband vor seiner Auswanderung geworden war. Sein Kulturniveau war weit abgesunken, wie die 114
    kaputten Möbel und das herumgestreute Silber bewiesen, das offenbar alles längst nicht mehr benutzt worden war, als seine Eigentümer fortgingen. Aber obwohl die gefürchteten Martenses nicht mehr da waren, blieb die Furcht vor dem Spukhaus bestehen, und sie wurde verstärkt, als neue und seltsame Geschichten unter der entarteten Bergbevölkerung auftauchten. Da stand es nun, verlassen, gefürchtet und mit dem rachedürstenden Geist des Jan Martense verknüpft, da stand es noch immer in der Nacht, als ich Jan Martenses Grab öffnete.
    Ich habe meine fortgesetzte Graberei als unsinnig bezeichnet, und das war sie tatsächlich, sowohl was den Gegenstand als auch die Methode betraf. Der Sarg von Jan Martense war bald freigelegt − er enthielt jetzt nur noch Staub und Salpeter − aber in meinem wütenden Eifer, seinen Geist zu exhumieren, schaufelte ich sinnlos und ungeschickt darunter weiter, wo er gelegen hatte.
    Gott weiß, was ich zu finden erhoffte − ich fühlte lediglich, daß ich das Grab eines Mannes ausschaufelte, dessen Geist bei Nacht umging.
    Ich kann unmöglich sagen, welch ungeheuere Tiefen ich erreicht hatte, als mein Spaten und kurz darauf meine Füße, in den Boden darunter einbrachen. Das Ereignis war unter diesen Umständen ungeheuer wichtig, denn in meinen verrückten Mutmaßungen hatte ich bereits Gewißheit, daß hier unterirdische Räume existieren müßten. Mein leichter Fall hatte die Laterne zum Erlöschen gebracht, aber ich zog eine elektrische Taschenlampe hervor und blickte in den engen, waagrechten Gang, der sich nach beiden Seiten ins Unendliche verlor.
    Er war für einen Mann reichlich breit genug, um sich durchzuwinden, und obwohl kein Mensch mit gesunden Sinnen es zu dieser Zeit versucht hätte, vergaß ich Gefahr, Vernunft und Sauberkeit in meinem zielstrebigen Fieber, die lauernde Furcht ans Tageslicht zu ziehen. Indem ich die Richtung dem Hause zu wählte, krabbelte ich tollkühn in den engen Kaninchenbau, indem ich mich blindlings und rasch vorwärts schlängelte und nur selten die Lampe aufleuchten ließ, die ich vor mich hinhielt.
    Welche Sprache vermag den Anblick eines Mannes zu beschreiben, der in unendlich abgründiger Erde verloren ist, tastend sich windend, angestrengt atmend, der wie verrückt durch tiefliegende Windungen der uralten Schwärze kriecht, ohne Zeitsinn, Sicherheit, Richtung oder endgültiges Ziel? Es liegt etwas Schreckliches darin, aber das ist es, was ich tat. Ich tat es so lange, daß das Leben zu einer fernen Erinnerung verblaßte und ich mit den Maulwürfen und Maden der nächtlichen Tiefen eins wurde. Es war in der Tat nur Zufall, daß ich nach endlosem Vorwärtswinden meine vergessene elektrische Taschenlampe aus Versehen anknipste, so daß sie unheimlich die Grabgänge aus trockenem Lehm beleuchtete, die sich vor mir erstreckten und schlängelten.
    Ich war auf diese Weise einige Zeit vorwärts gekrabbelt, weshalb meine Batterie stark verbraucht war, als der Gang sich plötzlich scharf nach oben wandte und meine Fortbewegungsart veränderte. Als ich den Blick hob, sah ich völlig unvorbereitet zwei teuflische Reflexe, die mit verderblichem und unmißverständlichem Glanz strahlten und die nebelhafte Erinnerungen heraufbeschworen, die mich verrückt machten. Ich hielt automatisch an, obwohl ich nicht den Verstand aufbrachte, mich zurückzuziehen. Die Augen kamen näher, von dem Wesen, zu dem sie gehörten, konnte ich jedoch nur eine Klaue 115
    erkennen. Aber was für eine Klaue! Dann hörte ich weit über mir ein fernes Krachen, das ich sofort erkannte. Es war der unheimliche Donner der Berge, zu hysterischer Wut gesteigert − ich mußte schon eine Zeitlang nach oben geklettert sein, so daß ich ganz nah an der Oberfläche war. Und während der Donner gedämpft rollte, starrten diese Augen immer noch mit ausdrucksloser Bösartigkeit.
    Ich wußte damals Gott sei Dank nicht, was es war, oder ich wäre gestorben.
    Aber ich wurde von dem Donner gerettet, der es herbeigelockt hatte, denn nach schrecklichem Warten fuhr aus dem unsichtbaren Himmel einer dieser vom Berg angezogenen häufigen Blitze hernieder, dessen

Weitere Kostenlose Bücher