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Stadt unter dem Eis

Titel: Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Greanias
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reißen.‹ Jeder andere also, der dem nicht würdig ist, wird unvorstellbare Konsequenzen auslösen.«
    »Vor den Leuchtenden? Wer soll das denn sein?«, sagte Yeats.
    »Sterne«, sagte Conrad. »Die Leuchtenden sind die Sterne. Die Erbauer konnten die Sterne deuten, die einen bestimmten Augenblick im Raum-Zeit-Kontinuum vorhersagen – einen ›ehrwürdigen‹ Augenblick, wie es heißt. Nennen wir ihn mal die ›Befreiungsklausel‹ der Menschheit, das Geheimnis, das den Fluch der Vorväter ein für alle Mal bricht.«
    »Das würde dir so passen, Conrad«, sagte Serena. »Die Antwort steht in den Sternen, und du deutest sie so, wie du willst.«
    »Wie die drei Weisen aus dem Morgenland bei Christi Geburt?«
    Serena biss nicht an. »Das ist was völlig anderes.«
    Conrad setzte ihr weiter zu. »Oder wie das Fischsymbol der frühen Christen, das zufällig mit dem Zeitalter der Fische zusammenfiel und das, wieder reiner Zufall, gerade aufhört, um vom neuen Zeitalter des Wassermanns abgelöst zu werden.«
    »Was willst du damit sagen, Conrad?«
    »Ich will damit sagen, dass das Glaubenszeitalter vorbei ist und dass diese Tatsache dich und deine Freunde im Vatikan höchst beunruhigt.«
    »Du irrst dich, Conrad.«
    »Die Sterne geben mir Recht.«
    Yeats deutete auf eine Seite des Obelisken. »Meinst du Sterne wie diese vier Konstellationen auf dem Zepter?«
    »Nein, wie die da oben.« Conrad zeigte auf die Gravierungen in der Kuppel. »Die Kammer hier ist eine Art Himmelsuhr. Seht her.«
    Er berührte den Obelisken und hörte, wie Serena nach Luft schnappte, während er ihn wie einen Joystick hin und her schob. Ein dumpfes Rumpeln war zu vernehmen, und gleichzeitig fing das Gewölbe an, sich zu bewegen.
    »Wenn wir den Sternenhimmel auf eine bestimmte Zeit einstellen wollen, fangen wir mit dem kosmischen ›großen Zeiger‹ beziehungsweise dem entsprechenden Zeichen des Tierkreises an«, erklärte er. »Wir sind am Anfang des Wassermannzeitalters, deshalb steht dieses Sternbild im Osten.«
    Während er sprach, drehte sich die Kuppel wieder in die Ausgangsstellung.
    »Der ›kleine Zeiger‹ der Uhr bezeichnet die Position, also südliche oder nördliche Hemisphäre.«
    Conrad bewegte den Obelisken, und eine völlig neue Sternenkonstellation erschien. Er drehte die Kuppel jedoch weiter, bis oben wieder hörbar das ursprüngliche Schema einrastete.
    »Zu einer dritten, genaueren Einstellung werden die verschiedenen Tagundnachtgleichen des Jahres herangezogen.«
    Conrad nahm die letzte Einstellung vor und beendete seine Vorführung dann damit, dass er alles wieder auf den Ausgangspunkt zurückbrachte. Das Rumpeln verebbte.
    »Der Obelisk und der Altar, um den herum wir jetzt stehen, stellen also die Erde in einer festen Position dar. Die Konstellationen in der Kuppel sind der Himmel. Beide sind auf einen zeitlichen Fixpunkt eingestellt.«
    Serena, die von dem, was sie offensichtlich als seinen ›rücksichtsloser‹ Umgang mit einem Kunstwerk bewertete, anscheinend noch ganz durcheinander war, fragte: »Und wie sind die Sterne in dieser Kammer momentan ausgerichtet?«
    »Sie stehen zum Obelisken genau so wie der Himmel über der Antarktis zum gegenwärtigen Zeitpunkt«, sagte er so überzeugt, als ob keinerlei Zweifel darüber bestünde.
    »Das ist vermutlich der bedeutendste Moment in der Menschheitsgeschichte: der große Entdecker Conrad Yeats.«
    Conrad lächelte. »Endlich sind wir uns mal einig.«
    Serena blickte ihn verächtlich an. »Ist dir noch nicht der Gedanke gekommen, dass du vielleicht der größte Dummkopf aller Zeiten bist und dass wir uns im unwürdigsten Augenblick seit Menschheitsgedenken befinden, wenn du den Obelisken jetzt entfernst?«
    Natürlich hatte er selbst auch schon darüber nachgedacht. Serena ging ihm allmählich auf die Nerven.
    »Denk doch mal nach, Serena«, sagte er. »Wenn das, was du sagst, stimmt, dann waren sich die Erbauer der P4 darüber im Klaren, dass nur eine fortgeschrittene Kultur mit technischem Wissen die Pyramide überhaupt finden könnte, ganz zu schweigen vom Eindringen. Unser Fortschritt macht uns dessen würdig. Deshalb muss der jetzige Augenblick einfach der bedeutendste Zeitpunkt sein. Und dieser Obelisk ist der Schlüssel zu den Ursprüngen der menschlichen Zivilisation.«
    »Vielleicht ist er auch nur ein Trojanisches Pferd. Vielleicht ist der Obelisk wie der große Zeiger einer Uhr, der Sicherungsstift in einer Handgranate. Entfernt man das eine oder das andere,

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