Stadt unter dem Eis
die geothermischen Winde der P4 das Eis zum Schmelzen gebracht oder womöglich sogar die Erdkruste verschoben? Er wischte den Gedanken sofort beiseite. Wäre wirklich eine solche Katastrophe geschehen, wären Serena und er schon längst tot.
Conrad reckte den Hals zu den Schächten hin, die sich nun in der Krümmung der Süd- und der Nordwand befanden. Er könnte einen der Schächte hochklettern, nur so gelangte man nach draußen. Aber die Schächte schienen steil zu sein. Sie führten mindestens 300 Meter hoch, Gott weiß wohin.
»Ich muss mir das draußen ansehen«, sagte er zu Serena.
Sie nickte bedächtig, als ob sie, schon lange bevor er aus der Ohnmacht erwacht war, zum gleichen Schluss gekommen wäre. »Um den Schacht hochzuklettern, wirst du die hier brauchen.«
Sie hielt ihm an Händen und Knien zu befestigende Saugnäpfe hin.
»Wo hast du die denn her?«
»Alles aus dem Rucksack deines Vaters. Er schien für jede Situation gerüstet zu sein.«
»Für jede wohl doch nicht«, sagte Conrad und blickte zum Altar hinüber, unter dem sein Vater im Schacht verschwunden war.
Conrad stand auf, nahm die Kletterhilfen und ging quer durch den Raum zum Südschacht. Er sah direkt in die Sonne und musste blinzeln. »Sieht so aus, als ob sich der Polarsturm verzogen hätte.«
»Ja, scheint so zu sein.« Serena klang nicht sehr überzeugt. Sie wollte es vielleicht auch gar nicht wissen.
»Wenn die Rettungsmannschaften nach uns suchen, müssen wir uns mit einem Signal bemerkbar machen«, sagte er und befestigte die Kletterhilfen mit den Saugnäpfen. »Ich muss den Schacht hochklettern. Ich nehme ein Seil mit, falls es der einzige Weg nach draußen ist und du nachkommen musst. In der Zwischenzeit versuchst du mit Yeats' Funkgerät die Eisstation zu erreichen und sagst denen, was passiert ist.«
Er merkte, wie sie in seinen Augen nach Hinweisen suchte.
»Was genau ist denn passiert, Conrad?«, fragte sie.
Hätte sie es zugelassen, hätte er sie in die Arme genommen und ihr gesagt, dass alles wieder gut werden würde. Obwohl sie beide wussten, dass dem nicht so war. »Ich werde es herausfinden«, versicherte er ihr. »Ehrenwort.«
***
Die Lichtquelle wurde größer, je weiter Conrad sich dem Ende des Schachts näherte. Der Schacht war steiler gewesen, als er vermutet hatte, und die Saugnäpfe, die er für den Halt allerdings brauchte, hatten den Aufstieg verlangsamt. Er war außer Atem. Der Wind pfiff, als er sich am äußeren Rand des Schachts festhielt und sich zum Tageslicht hochzog.
Das grelle Licht ließ ihn blinzeln. Seine Augen mussten sich erst an die Helligkeit gewöhnen. Er konnte nicht fassen, was er dann sah, und blinzelte wieder.
Unter ihm lagen die Ruinen einer alten Stadt. Tempel, Zikkurats und zerbrochene Obelisken lagen verstreut mitten in einer Anlage, die einmal ein tropisches Paradies gewesen sein musste. Er nahm eine Reihe von Wasserläufen wahr, die in konzentrischen Kreisen um die Pyramide herum angelegt waren. Hier war wohl das Stadtzentrum gewesen, folgerte er. Es war ein hoch entwickeltes Raster einer Stadt aus einer anderen Welt, die 12.000 Jahre unter einer zwei Meilen dicken Eisschicht versteckt gelegen hatte.
Bis heute.
Conrad hielt sich die Hand über die Augen. Um die Pyramide herum, unter dem Eis, erstreckte sich sechs Meilen weit eine tropische Insel im Eismeer. In einiger Entfernung konnte er die schneebedeckten Gipfel der Berge jenseits der Antarktis sehen.
Die Luft war klar und frisch, und er hörte das entfernte Rauschen von Wasserfällen. Angesichts der Erhabenheit der Stätte waren seine Befürchtungen, seine Zweifel und sein kleinlicher Ehrgeiz wie weggefegt. Und als er seine Blicke über die neue Welt schweifen ließ, fragte er sich plötzlich, was wohl aus der alten geworden war.
23
Tagesanbruch
minus 15 Stunden U.S.S. Constellation
Admiral Warren durchschritt platschend das Hangardeck der U.S.S. Constellation und begutachtete den Schaden. Der Flugzeugträger war zwar nicht gekentert, aber er hatte so viel Wasser abbekommen, dass die Titanic damit zweimal gesunken wäre. Aber der alte Kasten schwamm noch und tuckerte mit Notstrom dahin.
Die ersten Meldungen von der US-Erdbebenwarte in Golden, Colorado, und von einem japanischen Erdbebenzentrum machten ein Beben in der Ost-Antarktis – 11,1 auf der Richter-Skala – für die Flutwelle verantwortlich. Aber Warren konnte von McMurdo oder Amundsen-Scott keine Bestätigung bekommen. Sämtliche Verbindungen zu den
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