Stadt unter dem Eis
Conrad ihren Namen rufen. Er deutete zur Decke. Drei weitere Türplatten, größer als die zuvor, lösten sich. Die zweite direkt über ihr.
Sie taumelte vorwärts. Ihr voll gesogener Parka zog sie wie Beton nach unten. Sie schleppte den Russen, der sich jetzt nicht mehr bewegte, mühsam weiter.
»Serena!«, rief Conrad.
Die dritte Tür fiel herunter.
Auf allen vieren zerrte sie den Russen über den Boden. Conrad umklammerte ihre Füße wie Eisenfesseln und zog. Die Knie rutschten ihr weg, und sie landete flach auf dem Bauch.
»Lass ihn los«, rief Conrad.
»Nein!« Serena umklammerte die kalten Hände des Russen, während Conrad sie hereinzog.
Der Russe war schon halb durch, da schnitt ihn die steinerne Falltür in zwei Teile.
Plötzlich merkte Serena, dass sie nur noch die Hälfte des Russen festhielt. Dennoch fiel es ihr schwer loszulassen, zu akzeptieren, dass sie ihn nicht mehr retten konnte.
Mit einem knirschenden Geräusch fiel die vierte und letzte Tür. Sie versuchte angestrengt, sich aus dem kalten Griff des nun beinlosen Körpers zu lösen. Schließlich öffnete sich die Hand, und in letzter Sekunde zog sie jemand hinein, kurz bevor die Granittür mit einem dumpfen Knall niederging.
Serena drehte sich zu Conrad um, um ihm zu danken. Er lag der Länge nach auf dem Boden. Seine Haare waren voller Blut. Beim Ziehen musste er wohl mit dem Hinterkopf gegen die Falltür geschlagen sein.
»Conrad!«, rief sie. »Conrad!«
Sie kroch zu seinem bewegungslosen Körper. Er lag ganz ruhig da. Die Kammer bebte nun so stark, dass sie seinen Puls nicht fühlen konnte. Der Obelisk lag neben seinem Rucksack – vielmehr neben Yeats' Rucksack –, und sie hob ihn auf.
Wieder ein Beben. Sie suchte an der wackelnden Wand Halt, bis diese glühend heiß wurde. Sie löste sich von der Wand, stolperte zitternd weiter und gab sich alle Mühe, das Gleichgewicht zu halten.
Sie war jetzt auf sich allein gestellt. Sie fiel mit dem Obelisken im Arm auf die Knie und betete zu Gott, dass das Beben aufhören möge. Sie versuchte krampfhaft, nicht an das Mädchen im Eis zu denken. Ein Krachen erfüllte den Raum, und als sie aufsah, schien sich die Kammer um 180 Grad zu drehen.
21
Abstieg, 9. Stunde U.S.S. Constellation
Als der gewaltige Gletscher ins Wasser stürzte, dröhnte es wie bei einer Bombenexplosion. Admiral Warren wurde umgeworfen, und das Glas des Ruderhauses der U.S.S. Constellation zersprang.
Sekunden später donnerte es erneut, und Warren hörte, wie die riesigen Wellen über den Bug krachten. Glasstücke lagen überall auf dem Flugzeugdeck verstreut, wo 76 Kampfjets an ihren Ketten zerrten.
»Admiral?«
Warren drehte sich um. Es war der Funker.
»Eine Blitzmeldung.« Der untergeordnete Offizier reichte ihm das Klemmbrett und hielt eine rote Taschenlampe über die Meldung, sodass Warren sie lesen konnte.
»Du meine Güte«, sagte Warren. »Die geologischen Überwachungssensoren von McMurdo haben gerade ein Beben der Stärke elf registriert.«
»Admiral!«, rief ein Lieutenant.
Warren blickte gerade noch rechtzeitig auf, um zu sehen, wie sich eine schlammgrüne Wand aufbäumte, auf den Bug herabschoss, das Flugzeugdeck überspülte, die Kampfjets wie Spielzeugflieger umherschleuderte und in die Insel donnerte, in der er sich gerade befand. Ein ohrenbetäubendes Krachen ließ sein Trommelfell platzen. Die Wassermassen zerstörten die Kommandobrücke. Verzweifelt hielt er nach etwas Ausschau, woran er sich festhalten konnte.
Die ganze Abteilung lief mit Wasser voll. Warren klammerte sich an eine Stange des Kontrollpultes und drückte den Rücken fest an die Wand, um sich Halt zu verschaffen. Bei ruhiger See ragte der über 80.000 Tonnen verdrängende Flugzeugträger 70 Meter aus dem Wasser. Aber diese Wogen hoben das Schiff wie eine leere kubanische Zigarrenschachtel.
Warren hustete Wasser aus und rief seinen Leuten zu: »Drehen und auf die Wellen zuhalten, sonst kentern wir!«
Er lauschte angestrengt, um das »Aye, Sir!« vom Steuermann zu vernehmen, aber es ging im Krachen der Wassermassen unter.
Als die Welle brach, sah er über die Brücke und sichtete zwei auf dem Wasser treibende Körper. Die anderen waren ins Meer geschwemmt worden. Er rannte die Treppe zum Ruderhaus runter und hielt sich dabei an der Reling fest. Das Ruderhaus war leer.
Er blickte zur Küste und sah, wie sich die graue Masse wieder auftürmte, eine Welle so hoch wie ein Kliff. Er griff nach der Kette, die eigentlich für
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