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Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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war’s doch schon immer«, sagte Jon.
    Michael trommelte mit den Fingern auf der Sofalehne. »Tja … das muß dir ja jetzt keine Sorgen mehr machen, nicht?«
    Jon schwieg erst mal und schüttelte dann verwundert den Kopf. »Weißt du, sie überzeugt immer noch.«
    »Wer?«
    »Deine Masche vom tapferen Waisenkind in den Stürmen des Lebens. Der kleine Michael gegen den Rest der Welt. Sogar Mrs. Madrigal hast du damit eingewickelt. Sie glaubt, daß ich dich verlassen habe.«
    Michael zuckte zusammen. »Das hab ich nie zu ihr gesagt.«
    »War auch gar nicht nötig«, sagte der Doktor. »Du hast einfach den Kopf hängen lassen und elend dreingeschaut. Das kennen wir ja. ›Someday he’ll come along‹ und so. Na, ich kann dir eines sagen, Michael: Er ist gekommen, und du hast ihn rausgeschmissen, weil du nicht die Traute gehabt hast, dich von deiner Phantasievorstellung zu verabschieden.«
    »Von welcher Phantasievorstellung?« Michael war beinahe sprachlos.
    »Das frag ich dich. Ein junger Dr. Kildare vielleicht? Was weiß ich … egal, was es war, ich konnte die Rolle nicht spielen … und du konntest den Gedanken nicht ertragen, daß der Kerl, der dich liebt, nicht anders ist als du. Zäh bist du ja, Michael … trotz dem ganzen Quatsch vom traurigen jungen Mann … aber nicht zäh genug, um mit so was fertig zu werden!«
    Michael starrte ihn wie betäubt an. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie falsch du das …«
    »Ja? Wie läuft’s eigentlich mit deinem Bullen?«
    Michael sah ihn entgeistert an. »Was hat dir Mrs. Madrigal denn nicht erzählt?«
    »Sie hat mir von dem Bullen erzählt«, sagte Jon. »Und von dem Filmstar. Und von dem Bauarbeiter. Du lebst gar nicht wirklich, Michael … du vögelst mit den Village People, und zwar mit einem nach dem anderen.«
    »Jetzt halt aber mal die Luft an!«
    »Ach, ist doch wahr«, sagte Jon.
    »Was geht dich das eigentlich …?«
    »Es geht mich gar nichts an. Da hast du recht. Es geht mich schon lange nichts mehr an … und ich hätte auch nichts sagen sollen. Nur hat Mrs. Madrigal mich darum gebeten … und ich wollte auch … und dein Gesülze, daß dich niemand haben will, hängt mir zum Hals raus. Einer will dich haben, Michael … als ob dir das nicht klar wäre. Und dabei weiß er selbst die schlimmsten Dinge über dich.«
    »Jon … entschuldige, wenn ich …«
    Der Doktor stand auf. »Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müßtest.«
    Michael blieb schweigend sitzen, als Jon zur Tür ging.
    »Ich bleib bis nach der Hochzeit«, sagte Jon. »Und ich versprech dir, daß ich dir keine Szene mehr mache.«
    »Hast du …? Kommst du mit Burkes Wohnung zurecht? Brauchst du frische Bettwäsche oder so was?«
    »Danke. Mrs. M. hat für alles gesorgt.«
    »Ich liebe dich«, sagte Michael.
    »Ich weiß«, sagte der Doktor. »Ist das nicht das Schlimmste daran?«

Emma im Dilemma
    Emma traute kaum ihren Ohren. Sie legte den Hörer auf und eilte wieder nach oben ins Schlafzimmer ihrer Herrin. Frannie Halcyon war völlig hinüber und schnarchte. Ein Arm baumelte wenig elegant über die Kante des Himmelbetts.
    »Miss Frannie«, flüsterte das Hausmädchen, als es sich über die Matriarchin beugte. »Aufwachen, Miss Frannie!«
    Keine Reaktion.
    »Mein Gott, Miss Frannie, wachen Sie sofort auf! « Emma faßte ihre Herrin an den Schultern und schüttelte sie sanft. »Er kommt, Miss Frannie … Jim Jones kommt!«
    Immer noch keine Reaktion.
    »Gott steh mir bei!« murmelte Emma. Sie mußte einsehen, daß die Tabletten, dieses Teufelszeug, gründlich gewirkt hatten.
    Sie holte aus dem Badezimmer ein Glas Wasser und schüttete der Matriarchin die Hälfte davon ins Gesicht. Frannie Halcyons Züge verzerrten sich kurz. Dann stieß sie ein halbherziges Stöhnen aus und wälzte sich auf den Bauch.
    »Bitte … o Gott, bitte, Miss Frannie … Sie müssen wach werden! Jim Jones kommt!«
    Emma riß die Decken vom Bett, wälzte die Matriarchin wieder auf den Rücken und zog ihre Beine aus dem Bett. Dann hievte sie sie in eine sitzende Position hoch.
    Der Kopf der Matriarchin hing schlaff nach vorn. Sie murmelte etwas Unverständliches in ihr Dekolleté.
    »Hören Sie mich?« fragte Emma.
    »Grdlamarelp.«
    »Bleiben Sie einfach sitzen«, keuchte Emma. »Ich bring Sie hier raus.«
    Sie hetzte zum Wandschrank und suchte verzweifelt nach dem bodenlangen schwarzen Nerz ihrer Herrin. Als sie ihn gefunden hatte, eilte sie ans Bett zurück und machte sich daran, ihn ihrer Herrin über

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