Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten
russischer Wolfshund Vuitton war seit fast einer Woche verschwunden. Prue wußte nicht mehr ein noch aus. Daß der Mann von der Parkverwaltung sich in dieser Krise so ekelhaft vage äußerte, machte alles nur noch schlimmer.
»Ja, Ma’am, ich glaub, ich erinner mich an den Bericht. Wo, ham Sie gesagt, ham Sie ihn noch mal verloren?«
Prue seufzte genervt. »In den Baumfarnen. Gegenüber vom Gewächshaus. Den einen Moment war er noch da, und den nächsten …«
»Letzte Woche?«
»Ja. Am Samstag.«
»Kleinen Moment.« Sie hörte ihn Akten durchblättern. Der Trottel pfiff dabei »Oh Where Oh Where Has My Little Dog Gone«. Es vergingen ein paar Minuten, bevor er wieder am Telefon war. »Nein, Ma’am. Fehlanzeige. Ich hab’s zweimal durchgeschaut. ’nen russischen Wolfshund hat keiner gesehen in den letzten …«
»Und Sie haben auch keine verdächtigen Kambodschaner gesehen?«
»Ma’am?«
»Kambodschaner. Flüchtlinge. Sie wissen doch.«
»Ja, Ma’am, aber ich versteh nich, was …«
»Muß ich es denn buchstabieren? Die essen nämlich Hunde, müssen Sie wissen. Und sie haben schon welche gegessen! «
Schweigen.
»Das hab ich im Chronicle gelesen«, fügte Prue hinzu.
Nach nochmaligem Schweigen: »Hören Sie, Ma’am. Was halten Sie davon, wenn ich die berittne Streife bitte, daß sie ihre Augen offenhalten, okay? Aber bei so ’nem Hund isses ziemlich wahrscheinlich, daß er entführt worden is. Ich würd Ihnen ja gern mit was Beßrem kommen, aber leider.«
Prue bedankte sich und legte auf. Armer Vuitton. Sein Schicksal lag in den Händen von Unfähigen. Irgendwo im Tenderloin aßen die Boat People möglicherweise Wolfshund süßsauer, und Prue war hilflos. Hilflos.
Bevor sie sich an ihre Kolumne setzte, ging sie zur Beruhigung zehn Minuten im Huntington Park spazieren. Als sie zurückkehrte, berichtete ihre Sekretärin, daß Frannie Halcyon angerufen und Prue für den nächsten Tag zum Mittagessen eingeladen hatte, um mit ihr »eine Angelegenheit von allerhöchster Dringlichkeit« zu besprechen.
Frannie Halcyon war die Grande Dame von Hillsborough. Mit Leuten wie Prue Giroux hatte sie sich noch nie befaßt, geschweige denn sie zum Mittagessen auf den Familiensitz bestellt.
»Eine Angelegenheit von allerhöchster Dringlichkeit.«
Was konnte das nur sein?
Die Matriarchin
Manchmal konnte Frannie sich des Gedankens nicht erwehren, daß ein Fluch auf Halcyon Hill lastete.
Wenn sie sich die Zeit nahm und über das Schreckliche nachdachte, das den Mitgliedern ihrer Familie zugestoßen war, erschien das genauso plausibel wie alles andere. Mit vierundsechzig war sie die einzige überlebende Halcyon, der abgetakelte klägliche Rest einer Dynastie, die so gut wie kapituliert hatte vor Tod, Krankheit und Zerstörung.
Edgar, ihr Mann, war am Heiligen Abend des Jahres 1976 seinen »Schrottnieren« (sein Wort) erlegen.
Beauchamp, ihr Schwiegersohn, war ein Jahr später bei einem Autounfall im Broadway Tunnel verbrannt.
Faust, ihre geliebte Dogge, war kurz danach gestorben.
DeDe, ihre Tochter und Beauchamps von ihm getrennt lebende Frau, hatte Ende 1977 zwei Chinesenmischlinge geboren und war mit einer Freundin von fragwürdiger Herkunft nach Guyana geflohen.
Das Massaker von Jonestown. Noch jetzt, drei Jahre nach dem Ereignis, konnte es passieren, daß Frannie diese Worte von einer Zeitungsseite entgegensprangen wie die tückischen Giftzähne einer Viper.
Edgar, Beauchamp, Faust und DeDe. Ein Schrecken nach dem anderen. Eine Demütigung nach der anderen.
Und nun die äußerste Erniedrigung.
Es war ihr nichts anderes übriggeblieben, als Prue Giroux zum Mittagessen einzuladen.
Emma brachte ein Tablett mit Mai Tais in den Wintergarten.
»Eine kleine Erfrischung?« fragte Frannie.
Die Kolumnistin setzte ihr süßliches Kleinmädchenlächeln auf. »Es ist einen Tick zu früh für mich, danke.«
Frannie hätte sie schlagen können. Statt dessen ließ sie sich von Emma mit einem huldvollen Nicken einen Drink reichen, nippte geziert daran und erwiderte das Lächeln dieser hoffnungslos gewöhnlichen Frau. »Ihre Kolumne«, sagte sie, »finde ich … sehr amüsant.«
Prue strahlte. »Wie mich das freut, Frannie. Ich tu mein Bestes, um einen guten Fluß hinzukriegen.«
»Ja. Es plätschert nur so.« Innerlich schäumte Frannie vor Wut. Wie konnte diese Person es wagen, sie mit Vornamen anzusprechen?
»Also, ich finde«, fuhr Prue fort – und führte ein offenbar liebgewonnenes Thema weiter aus
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