Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
places« sind. Da irrt Glaeser! Erst recht, wenn man ein nicht mehr ganz junger Single ist, sind Städte »fun places«. Das hat jener Herr verstanden, der im Juni 2011 ausgerechnet in der Landlust eine Bekanntschaftsanzeige schaltete, um noch einmal in Zweisamkeit durchzustarten. Doch da ja diese gedruckten Fluchthelfer gerne in der Stadt gelesen werden, kann vielleicht die Platzierung dieser Annonce in der Landidyllpostille von Erfolg gekrönt sein. Der »gesellige Zeitgenosse, 65 Jahre, der gerne kocht, tanzt, Ski fährt, ins Theater und ins Kino geht«, schreibt, der Start in das dritte Drittel und der damit verbundene »Unruhestand« rufe geradezu nach Veränderungen. »Vom Leben auf dem Lande möchte ich mich gerne in die Nähe einer größeren Stadt verändern oder direkt in dieselbe, die über Theater, Hochschule und Sonstiges verfügt, was das Leben lebenswert macht.« Für Frauen hat das Stadtleben und das Ausgehen noch einen weiteren Vorteil: Während man sich als Frau schon vorher Mut antrinken müsste, um eine ländliche Kneipe abends allein zu betreten, bedarf das in der Stadt zwar auch einer gewissen Chuzpe, geht aber.
So gilt für Alt und Jung gleichermaßen, was David Simon in einem Interview in der ZEIT (2012) betonte. Simon schrieb das Drehbuch zur phänomenal erfolgreichen Fernsehserie The Wire , die vor dem drohenden Untergang der Innenstädte durch staatliche Vernachlässigung warnt. Der Washingtoner Schriftsteller ist bekennender Liebhaber der Metropolen und sprach erneut ein Plädoyer für die Stadt aus: »Man kann sich nur in der Stadt neu erfinden. Auf dem Land bleibst du immer, wer du bist – im Guten wie im Schlechten.«
Haben sich dann zwei gemeinsam neu erfunden und hat ihre Liebe Früchte getragen, wird sich die neue Kleinfamilie vielleicht fragen: Rausziehen oder in der Stadt bleiben? Darum und warum junge Eltern besser keinen idyllischen Bullerbü-Bildern nachhängen sollten, wird es im nächsten Kapitel gehen.
Meine Stadt und ich
F. Gomes, 43 Jahre, ist Lehrer und lebt in Hamburg in der Innenstadt.
■ Warum leben Sie in der Stadt?
Weil ich von ganzem Herzen Großstadtmensch bin – seit meiner Geburt in Fortaleza (Brasilien).
■ In welchen Momenten empfinden Sie es als Glück, in der Stadt zu leben?
Dieses Gefühl hab ich ständig. Jeden Morgen, wenn ich mit dem Rad zu Arbeit fahren kann. Neulich beim Konzert einer portugiesischen Sängerin in der Fabrik. Und wenn ich mit meinem Partner Hand in Hand durch die Straßen laufen kann oder ihn sogar küssen, ohne das Gefühl zu haben, dass uns gleich jemand vermöbelt.
■ Haben Sie einen Lieblings-Ort in Ihrer Stadt?
Ja, die Elbe bei Övelgönne. Am Strand sitzen und auf den Hafen gucken, wunderschön.
■ Ist denn Ihre Stadt auch Ihre Lieblingsstadt?
Absolut!
■ Wie (er)leben Sie Nachbarschaft?
Offen und warmherzig. Wir helfen uns gegenseitig aus und bewahren gleichzeitig Distanz – eine gute Mischung.
■ Was fehlt Ihnen in Ihrer Stadt?
Mehr wärmere Tage mit Sonne. Das hat aber eher mit Deutschland zu tun als mit der Stadt.
■ Wann hängt Ihnen die Stadt so richtig zum Halse raus?
Wenn der Winter zu lange dauert und alle genervt sind von Dunkelheit und Schneematsch und in der S-Bahn alle husten und graue Gesichter haben vor Ungeduld auf das Frühjahr.
■ Was müsste die Gesellschaft oder die Politik tun, damit die ideale Stadt entstehen kann?
Nicht mehr so viele Unterschiede zwischen reichen und armen Stadtteilen zulassen, z.B. bei der Müllabfuhr oder bei der Grundversorgung mit Ärzten.
■ Fördert das Zusammenleben in der Stadt Ihrer Meinung nach die Toleranz – oder ist eher das Gegenteil der Fall?
Ja klar – allein durch den tagtäglichen Kontakt mit fremden Kulturen, Ansichten und Anliegen weitet sich der Horizont, auch wenn es manchmal anstrengend sein kann.
■ Wenn Sie schon auf dem Land gelebt haben: Was war dort schön – und was war schrecklich?
Nur der Kontakt zu meiner Gastfamilie war schön, aber das Leben in dem kleinen Kaff hat mich erdrückt. Vor allem das Pendeln: jeden Tag zur gleichen Zeit mit den gleichen Leuten am gleichen Gleis in den gleichen Zug steigen – grauenhaft!
■ Tragen Sie sich mit der Überlegung, irgendwann (wieder) aufs Land zu ziehen?
Ganz sicher nicht!
■ Wo würden Sie niemals leben wollen?
In einer noch nördlicheren Stadt als Hamburg.
■ Welches neue Projekt in Ihrer Stadt sollten andere Städte sich zum Vorbild nehmen?
Das schwul-lesbische
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