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Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Titel: Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Barbara und Trippel Schaefer
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eigenen Kindheit ist nur eine Romantisierung der Guten Alten Zeit, nichts weiter«, so die Studie. Gerade das Agrardorf, also das klassische Dorf, das noch nicht von Zuzüglern und Pendlern bewohnt wurde, akzeptierte keine eigenständige Kinder- und Jugendzeit. Heutige Kids murren, wenn sie das Geschirr abräumen müssen – ihre Großmütter hüteten mit sieben Jahren Gänse, von Mittag bis nachts. Früher waren Kinder kleine Erwachsene, kindliche Arbeitskräfte, die in Feld, Wald und Wirtschaft mit anpacken mussten. Mit starken Worten fasst der Berliner Kinderhilfsverein zusammen: »Die Betonung der körperlichen Geschicklichkeit und die dorfbornierte Ignoranz gegenüber der ›intellektuellen‹ Bildung fußt auf dieser Grundvorstellung.« Dass es heute auf dem Dorf nicht mehr so zugeht, dass Kinder Rechte haben, verdankt das Dorf der Stadt. Gesellschaftliche Umbrüche haben dort ihre Anfänge genommen (s. Kapitel 6). Arbeiter-, Frauen- und Jugendbewegung, die Emanzipation der Gesellschaft als solche, das Erstarken der Zivilgesellschaft, all das kommt aus den Städten und hat mit Verzögerung das alte Stände-Dorf überwunden und die Freiheiten der bürgerlichen Gesellschaft auch auf dem Land realisiert. Auch auf dem Land ist die Zeit nicht stehen geblieben. Das ist im Grunde eine gute Nachricht.
    Jenes Michel-aus-Lönneberga-Bild beruht also auf überholten Vorstellungen von nostalgischen Erwachsenen, basierend auf eigenen Kindheitserinnerungen. Die Generation der Babyboomer kannte das Dorfleben als Spielwiese. Doch wenn wir heute in die Dörfer unserer Kindheit oder in die Urlaubsorte von damals fahren, ist die Dorfstraße nun zweispurig ausgebaut, befindet sich auf der einstigen Pferdewiese ein Discounter, und auf dem Feld ist ein Neubaugebiet gewachsen. »Bullerbü gibt es auch auf dem Land quasi nicht mehr«, sagt Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerks. Der Verkehr habe nicht nur in der Stadt, sondern auch in ländlichen Gebieten stark zugenommen. In vielen Landhaushalten ist der Carport größer als das Kinderzimmer, gibt es mehr Autos als Kinder. Und wegen der zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft sei das Spielen auf den Höfen und Feldern nicht unproblematisch. Im Stall die Kühe melken? Die Schweine füttern? Undenkbar. »Die Zugänge sind für Kinder eingeschränkt. Man denke etwa an Mastbetriebe, die höheren hygienischen Standards genügen müssen als früher.« Werbeträchtig inszenierte Kindheitsbilder nähren dennoch weiter die Illusion. Da lachen Kinder auf der Baumschaukel, ein Apfel fällt ihnen auf den Kopf; von den Karotten, direkt aus dem Feld gerupft, muss erst die Erde abgeschüttelt werden. Babynahrung, ganz hipp. Als würden Lebensmittel so handgeschöpft an Kunden weitergereicht.
    Das Bild der ländlichen Barfußkinder bedarf einer Korrektur – wie auch das Klischee vom Aufwachsen in der Stadt. Denn mitnichten müssen Stadtkinder dazu verdonnert werden, die freie Zeit in der Wohnung zu verbringen. Sie können sich auf Spielplätzen, in Parks und auf Brachen vergnügen. Und wenn die Familie in einem kinderfreundlichen Viertel wohnt, freuen sich alle über kurze Wege. »Ich bin so froh, in der Stadt zu leben«, sagt Kati, 32. Sie ist auf einem sächsischen Dorf aufgewachsen und lebt nun in Berlin-Moabit, keiner der hippen Bezirke. »Ich hätte nie gedacht, dass es hier auch so toll ist mit Kindern«, sagt sie. Im Mietshaus gibt es mehrere WG s, mal drei, mal fünf Erwachsene, mit zwei, drei Kindern. Kati und Marcus haben drei Kinder, von einem Jahr bis fünf Jahren. Große Auswahl an allem, und all das zu Fuß zu erreichen, das sei das Tolle, sagt die junge Mutter. Angefangen bei Yoga und PEKIP -Kursen im Familienzentrum Meerbaum-Haus bis zum Sportverein Gutsmuths mit Badminton, Eltern-Kind-Turnen oder integrativem Familiensport. Überall habe sie nette Frauen getroffen, sich ausgetauscht, Tipps weitergereicht. Die kleinen Geschenke für Geburstage rundum kaufen sie beim »Trommler«, da gibt es Holzspielzeug und Kinderbücher, und auf der Bank am Spielplatz tauschen sie sich weiter aus: Welcher Türke auf der Turmstraße hat das frischere Obst, warst du schon im Bioladen, kennst du einen Babysitter?
    Kati hat ihre Kinder auch beim Akrobatikkurs und in der Musikschule angemeldet: »Wichtig im Winter, damit nicht alle immer nur in der Wohnung hocken.« Mit der vergünstigten Zookarte schob sie ihre Jüngste an Elefanten und Affen vorbei, und wenn

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