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Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Titel: Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Barbara und Trippel Schaefer
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die beiden Größeren im Kinderladen sind, geht sie manchmal mittwochs ins Elternkino im Babylon, nur ein paar U-Bahn-Stationen entfernt. Da laufen vormittags aktuelle Filme, es ist nicht ganz zappenduster, »und kein lauter Dolby-Surround-Sound« röhrt. Wenn mal ein Baby muckt, ist das nicht schlimm, jeder ist tolerant, könnte ja der eigene Nachwuchs sein. Gerne verbringt sie die Nachmittage mit ihren Kindern auf dem Spielplatz. »Wie einsam ist es dagegen auf dem Land«, erinnert sie sich. »Ich freue mich so, dass meine Kinder in der Stadt so viele nette Freunde finden. Auf dem Land hat doch jeder die eigene Rutsche und das Trampolin im Garten. Da spielt jeder für sich.«
    Warum funktionieren diese ländlichen Idyllenbilder dennoch so gut? Weil Eltern, berechtigterweise, nach einem heilen Ort für ihre Kinder suchen, sie in der besten aller Welten aufwachsen lassen wollen. Doch dieses Bild des Aufwachsens im Grünen – das Spielen auf der Straße und mit Tieren, die gesunde Luft und »ständig anregende Raumentdeckungen« –, das Ökopädagogen und Kommunalpolitikern durch den Kopf geistert, trifft die Realität der Landkindheit heute nicht mehr. Stadtkinder können selten einfach auf die Straße runter zum Spielen, dafür würden sie aber zu Improvisationskünstlern, sagt Jan Erhorn vom Pädagogischen Institut der Universität Hamburg: »Kinder haben bemerkenswerte Fähigkeiten, sich Spiel- und Bewegungsräume zu erschließen.« Wenn man sie nur lasse, finden Kinder überall Platz zum Spielen, Rennen und Toben.
    Und das brauchen Kinder so dringend wie das tägliche Brot. »Lasst sie raus«, fleht der Biologe und Naturphilosoph Andreas Weber in seinem Buch Mehr Matsch , erschienen 2010. Er reklamiert ein »Kinderrecht auf Freiheit«; dass Kinder kaum noch im Freien herumstrolchen, hält er für eine »zivilisatorische Katastrophe«. Eine Fülle von Studien bestätigt: »Der Aktionsradius der gegenwärtigen Kindergeneration verlagert sich zunehmend auf das Hausinnere. Das Gebiet, in dem sie auf eigene Faust umherstreifen dürfen, hat sich in drei Jahrzehnten so drastisch verkleinert, als lauerten Heckenschützen hinter jedem Müllcontainer.« Doch das freie Herumstromern, das auch mal unbeaufsichtigte Spielen sei wichtig, vielleicht sogar wichtiger als Cellostunden und Spanischunterricht: »Neue Situationen zu bewältigen gewährt Autonomie – und somit die Reifung zur eigenständigen Persönlichkeit.«
    Wenn Baumhausbauen oder Räuber-und-Gendarm-Spielen nicht mehr der Bringer ist, orientieren sich auch die Kinder auf dem Dorf an denen aus der Stadt, die sie auf allen TV -Kanälen und Werbespots präsentiert bekommen. So bleiben auch die Dorfkids lieber vor ihren Medien zu Hause, spielen lieber im Garten als draußen, möchten lieber »cool« aussehen, als sich beim Spielen dreckig zu machen, »laden lieber ausgewählte Kinder per Telefonabsprache ein, als in Dorfcliquen um die Führungsrolle zu buhlen und dort eventuell den Kürzeren zu ziehen«, so noch einmal die Studie des Kinderschutzbundes. Zum Glück versprechen städtische Funsportarten Abwechslung und locken die Kids auf die (Dorf)-Straße. Skateboards und Inliner boomen – sofern denn bei der Dorfgestaltung ein entsprechender Platz für die Jugend präpariert wird. Was nicht immer einfach ist.
    In Herrsching am Ammersee etwa war im Jahr 2006 die Empörung konservativer Kreise groß, als der Gemeinderat beschloss, eine Skateranlage zu bauen. Daraufhin startete eine Bürgerinitiative »Gegen den Skatepark!«. Während die Befürworter im »Treffpunkt für Jung und Alt an der frischen Luft« eine »Investition für die Zukunft« sahen, der Leiter der Musiklehrervereinigung Herrsching sogar forderte, wenn Minderheiten wie Hackbrettvirtuosen Unterstützung bekämen, dann gelte das auch für die Minderheit der »ebenso virtuosen Skater«, führten die Gegner – offiziell – ins Feld, die Kosten seien zu hoch für den »Trendsport einer kleinen Minderheit«. Das Geld solle lieber in den Straßenbau investiert werden. Insider verrieten, es sei um ganz andere Belange gegangen. »Dös hat’s no nia nit geb’n« und »dös braucha mir do ned, dös is wos für die Stoderer«, das seien die wahren Gründe gewesen. Traditionalismus – oder eben von anderer Warte besehen: dörfliche Rückständigkeit. Die Bürgerinitiative hatte zunächst Erfolg, 69,7 Prozent votierten beim Bürgerentscheid gegen die Anlage, die »Herrschinger Jugendlichen sind

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