Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
Wenn es zu dunkel wird zum Kraxeln, illuminieren bunte Lichter das Gelände, keine kitschigen Lichterketten, sondern ein Lichtspektakel des britischen Künstlers Jonathan Park. Industrie, Natur, Sport, Kunst – alles da. Wer hier keinen Gesprächsstoff findet, hat den falschen Menschen an seiner Seite.
Stuttgart
Monte Scherbelino : Nach dem Zweiten Weltkrieg brachten die Stuttgarter ihren Trümmerschutt auf den »Birkenkopf« und erhöhten dessen Gipfel damit auf 511 Meter. Man erreicht ihn nach einem kurzen Waldspaziergang, kann über alte Hausfassaden klettern, die romantisch-nostalgische Atmosphäre spüren und einen fantastischen Blick auf die Stadt genießen – bei Tag wie bei Nacht.
Natürlich geht man in die Bar nicht in der Kittelschürze. Also wird sich aufgehübscht, jeden Abend aufs Neue. In den USA geben die Haushalte in einer Millionenstadt 42 Prozent mehr für Frauenklamotten aus als nichtstädtische Haushalte, wie Glaeser recherchierte. Klar: Sex and the City. Das städtische Bedürfnis, als attraktive Erscheinung aufzutreten, spiegelt die Tatsache wider, dass die dichte Bevölkerung großer Städte auch dazu dient, Menschen »romantisch miteinander zu verbinden, einen Hochzeitsmarkt zu schaffen, der auf seine Art so wichtig ist wie der Arbeitsmarkt«.
Wer in der Stadt arbeitet, kann auch in der Mittagspause essen gehen, dort außer Nahrung auch Futter für die Augen finden. Und auf dem Weg dorthin öffnet sich der öffentliche Raum als Möglichkeit, sich völlig unbefangen und wie zufällig über den Weg zu laufen. Es soll allerdings auch schon vorgekommen sein, dass Menschen in der Mittagspause kurz zum Vögeln aufbrachen. O.k., theoretisch im Dorf auch möglich, sofern man nicht eine Stunde pendeln muss. Und dann nicht das Geläster über das fremde Auto im Carport von vorne losgeht. Einen Unterschied zwischen Landlust und »Großstadtliebe« beschreibt Mascha Kaléko so schön in ihrem gleichnamigen Gedicht von 1933: »Man trifft sich im Gewühl der Großstadtstraßen. (…) Durch das Gewirr von Lärm und Autorasen, / – Vorbei am Klatsch der Tanten und der Basen / Geht man zu zweien still und unberührt.«
Hat sich also nun ein Paar gefunden, lockt die Stadt erst Recht zu Unternehmungen. Unsere frisch Verliebten können sich ein Ruderboot mieten, um auf der Alster, dem Schlachtensee oder im Englischen Garten in See zu stechen. »Man küßt sich dann und wann auf stillen Bänken, / – Beziehungsweise auf dem Paddelboot«, wusste Großstadtlyrikerin Kaléko. Man wird ins Kino gehen und vielleicht nicht jeden Film bis zum Schluss ansehen. Natürlich begegnen wir den beiden weiter in Restaurants und Bars, in Parks und Shops, in allen Winkeln der Stadt, die sie sich nun gegenseitig zeigen.
Tratsch auf dem Dorf
Doch so unberührt vom Klatsch in liebevoller Zweisamkeit durch die Straßen zu taumeln, wie Mascha Kaléko es beschreibt, das bietet nur die Stadt. Klatsch ist die Kehrseite des ländlichen Zusammenhaltens. Das schreibt Axel Brüggemann in seinem Buch Landfrust . Der Dorfbewohner wisse, dass Jalousien am Abend besser heruntergelassen werden, »damit die Privatsphäre nicht zum Dorfgerücht gerät. Er weiß, dass der Klatsch die Langeweile verdrängt«. Denn der Seitensprung des Nachbarn, die Haushälterin des Pfarrers oder der Ehestreit bei offenem Fenster werden im Dorf hingebungsvoll debattiert. Manchmal bleibt es auch nicht beim Drüberreden. Mobbing ist die Fortführung des Klatsches mit anderen Mitteln. So berichtet 2008 der Verein gegen psychosozialen Stress und Mobbing, ein Fachverbund aus Rechtsanwälten, Psychologen und Sozialpädagogen, von Roswitha S., Erzieherin im katholischen Kindergarten eines niederbayerischen Dorfes. Sie wird schwanger und bekommt das Kind, obwohl der Vater des Kindes sich aus dem Staub gemacht hat. Nach ihrem Schwangerschaftsurlaub geben ihr der Pfarrer und Vertreter des Caritasverbandes zu verstehen, eine ledige Mutter sei mit den kirchlichen Moralvorstellungen nicht zu vereinbaren. Entweder sie legalisiere das Kind durch Heirat, oder sie solle sich einen anderen Arbeitsplatz suchen. »Jagdszenen aus Niederbayern« eben, wie Martin Sperr ein bitterböses Theaterstück über Moral und Doppelmoral genannt hat.
Überkommene Anstandsregeln, neugierige Nachbarn und Mobbing können die Liebesanbahnungen torpedieren, vor allem Frauen bekommen das noch immer zu spüren. Auch alten Menschen kann böse Nachrede widerfahren. Es kann eben der Frömmste nicht in
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