Stahlfront 4: Verrat um Thule
automatisch an die Netzadresse weitergeleitet wurde, die General Roberts ihm für Notfälle gegeben hatte.
Für Fälle wie diesen.
Oberleutnant Carter Gibson atmete noch einmal tief durch und drückte dann auf die Eingabetaste. Im gleichen Moment rauschte eine Kopie der Datei mit dem Namen »Mögliche Anschläge« auf einem kleinen Umweg über Europa nach Georgia.
Als das erledigt war, löschte er alle Daten von seinem Schirm, nahm seine Dienstpistole vom Typ Beretta aus dem Holster, überprüfte sie, lud sie durch und legte sie griffbereit vor sich auf den Tisch.
Dann wartete er.
Vielleicht hatte er Glück, und in der allgemeinen Aufregung über den erneuten Sezessionskrieg ging seine kleine Aktion unter. Falls nicht, hätte eine Flucht auch nichts mehr gebracht. Wenn sie ihn haben wollten, würden sie ihn auch bekommen. Ihm blieb nur die Hoffnung darauf, nicht entdeckt worden zu sein.
Diese Hoffnung währte exakt drei Minuten und sieben Sekunden nach dem Versenden der Datei. Dann wurde die Tür zu seinem Büro eingetreten, obwohl sie nicht verschlossen war, und Männer in dunklen Anzügen stürmten herein.
Schon als draußen auf dem Gang eilige Schritte trampelten, hatte Carter die Beretta hochgenommen. Viermal konnte er abdrücken, vier Agenten des DIA für immer aus dem Verkehr ziehen. Dann waren die anderen heran und überwältigten ihn mit ihrer schieren Zahl.
Sie wollten ihn nicht töten. Sie wollten ihn lebendig. Das war es, wovor Carter sich am meisten gefürchtet hatte. Doch er konnte nichts dagegen unternehmen.
Die Schläge, die auf ihn einprasselten und ihn zu Boden warfen, schmerzten höllisch, und wären ihm doch nur zehn Minuten später schon wie die reinsten Liebkosungen vorgekommen.
Mit gekonnter Routine wurde er gefesselt, geknebelt und mit einem Sack über dem Kopf aus seinem Büro geschleift. Als man ihm den Sack wieder vom Kopf zog, saß er im Büro des Verteidigungsministers auf einem Stuhl, gehalten von viel zu engen Handschellen.
Ein DIA-Agent hatte gerade den Ärmel seiner Uniformjacke aufgerissen und jagte ihm eine Spritze in die Armvene. Carter wußte aus den geheimen Dienstanweisungen, daß es sich um ein Medikament handelte, das dem Gehirn die Unterdrückung von Schmerzempfindungen unmöglich machte. Daß es hochgradig krebserregend war, störte jetzt auch nicht mehr.
Der Verteidigungsminister stand etwa drei Meter vor ihm. Seine sonst so professionell-freundliche Politikermiene zeigte nun eine Mischung aus Beleidigtsein, Bedauern und Bösartigkeit. »Carter, Carter, Carter .« seufzte er. »Wo haben Sie sich da nur hineingeritten? Aus Ihnen hätte wirklich etwas werden können, mein Junge. Aber jetzt? Ich will ehrlich zu Ihnen sein: Wenn Sie es uns leichtmachen, machen wir es Ihnen leicht.
Also reden sie: Was haben Sie mit der speziellen Datei gemacht ?«
Und dann begannen die schrecklichsten Stunden in Carter Gibsons kurzem Leben. Und die letzten.
*
Carter hielt so lange durch, bis er sicher war, daß die DIA seine Botschaft nicht mehr blockieren oder sonstwie stören konnte.
Danach war sowieso alles egal.
Kein Mensch konnte den Foltermethoden der Amerikaner, die schon während des Zweiten Weltkriegs entwickelt und seitdem mit wissenschaftlicher Präzision immer weiter verfeinert worden waren, lange widerstehen. Oberleutnant Gibson hatte fast Übermenschliches geleistet, aber nun brach er zusammen. Er gestand, die Datei mit dem Namen »Mögliche Anschläge« an General Roberts weitergeleitet zu haben. Die Worte, die aus seinem zerschlagenen Mund quollen, waren nur noch von eigens dafür ausgebildeten Spezialisten zu verstehen.
Für den Verteidigungsminister klangen sie wie sinnloses Gestammel. »Was sagt der Kerl ?«
»Roberts hat unsere nette kleine Terrordatei .«
»Verdammt !«
»Kein Grund zur Aufregung, Herr Minister. Sie enthält keine Kodes. Wirklich nutzen kann sie niemandem !«
»Das machen Sie mal der Präsidentin klar! Wenn die Zicke erfährt, daß es ausgerechnet jetzt ein Loch im Pentagon gibt, macht die mir die Hölle heiß! Was ist mit weiteren Verrätern ?«
»Falls es welche gibt, weiß Gibson nichts von ihnen. Der Knabe ist nicht mehr in der Lage, auch nur die geringste Kleinigkeit vor uns zu verheimlichen .«
»Gut. Oder auch nicht. Jedenfalls ist er damit wertlos geworden .« Der in der Öffentlichkeit stets so jovial wirkende Minister wirkte jetzt wie ein bösartiger Mafia-Pate in einem billigen Hollywoodstreifen. »Beenden sie die Sache -
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