Stahlhexen
über die Heide losflog, wischte er diese Gedanken beiseite. Ganz kurz folgten sie der zerfallenen Start- und Landebahn, und dann ließen sie all das hinter sich im Dunkeln zurück.
Mia Tyrone wurde beim Einchecken in einen geschlossenen Büroraum im Inneren des Flughafens Heathrow geführt. Man studierte ihre Papiere, und ihr Reisepass wurde mit UV-Licht durchleuchtet. Sie überprüften Mias Hände mit einem Finger- und ihre Augen mit einem Iris-Scanner.
»Sie haben nur einen Hinflug gebucht. Warum das?«, fragte man sie.
»Weil ich nie wieder hierher zurückkomme.«
»Ach, wirklich? Warum denn nicht?«
»Weil ich dieses Land hasse.«
Blicke wurden gewechselt. »Sie haben Ihren Flugschein hier im Flughafen gekauft und überhaupt kein Gepäck dabei. Das ist ungewöhnlich und wir müssen verstehen, warum Sie das so machen.«
»Ich fliege nach Hause, okay?«, antwortete sie.
»Wir haben Ihren Namen überprüft. Sie arbeiten für die Bellman Foundation.«
»Nicht mehr. Ich bin gegangen.«
»Sie haben eine Verletzung im Gesicht.«
»Ich bin hingefallen.«
Sie fragten sie noch eine halbe Stunde aus, zuckten dann die Schultern und gingen.
Danach kamen zwei Frauen, die Mia komplett auszogen. Die Hände mit Einweghandschuhen geschützt, durchsuchten sie ihre Kleider, ihren Körper und alle Hohlräume in ihrem Körper. Im Zimmer hing ein Spiegel, an dessen einer Ecke die oberste Schicht abgeblättert war. Dahinter erkannte sie verschwommene Bewegungen.
Man ließ sie gehen.
In der Abflughalle saß sie da und betrachtete den Himmel - das, was davon hinter den Gitterfenstern der Abflughalle zu erkennen war. Er war tief blau, und in einer Ecke sah man vom Sonnenuntergang rötlich gefärbte Wolken.
Auf der anderen Seite der Halle stand eine Boeing 747, die mit ihrer Nase beinahe die Scheibe über den Köpfen der Wartenden berührte. Schläuche und Kabel wurden inzwischen entfernt, die Abfertigungsfahrzeuge rollten weg, und im Cockpit sah man schon den Piloten sitzen. Mia würde einsteigen, drei Drinks kippen und einzuschlafen versuchen - mit angezogenen Beinen und ein Kissen über den Bauch gelegt, so wie sie immer in Flugzeugen schlief.
So wie ich immer schlafe, egal wo, dachte sie.
Sie würde einschlafen, in ihrem eigenen Land aufwachen und nie wieder hierher zurückkehren. Nie wieder.
Ich war unschuldig. Dieses Land hat mich vergiftet.
Schon beim Gedanken an Schlaf schloss sie einen Moment lang die Lider. Als sie die Augen wieder aufschlug, stand jemand neben ihr vor dem Fenster, das Profil scharf vom silbrig schimmernden Licht umrissen, das von der Metallverkleidung des Jumbos draußen reflektiert wurde.
Sie sah genauer hin.
Es war ein Polizist in kugelsicherer Jacke und Schirmmütze. Er hielt einen Karabiner vor der Brust, in dessen Beschlägen sich die Flugzeuglichter fingen.
Der Mann drehte sich um und sah sie an: blasse Haut, blau geädert unter dem Stoppelbart, die Augäpfel weiß wie Eiszapfen und die Pupillen beinahe schwarz. Er blickte ihr in die Augen, eine Sekunde, zwei Sekunden, sah direkt in sie hinein und erkannte alles. Er zwinkerte ihr zu.
Dann setzte er seine Patrouille fort, dicht von seinem Kollegen gefolgt, und so schritten die beiden Beamten langsam und nach links und rechts spähend mit knarrenden Stiefeln durch die Halle.
Sie saß da, sah auf das Flugzeug und spürte, wie ihr das Herz in der Brust hämmerte. Ihr Flug wurde aufgerufen und sie stellte sich in die Schlange und stand minutenlang da, den Reisepass in den schweißnassen Fingern.
Sie wusste es, wusste es einfach. Sie würde ihn von jetzt an überall sehen. Er würde ihr über den Atlantik folgen wie sein gestörter Urahn. Wo immer sie Zuflucht suchte, er würde ihr folgen.
Wenn der Hexenjäger erst losgelassen ist, kann man ihn nicht mehr aufhalten.
Fletcher blickte auf, als Cathleen sich auf den Stuhl am Fenster fallen ließ.
Sie war braun gebrannt und das Haar war von der Sonne gebleicht, gründlich gebürstet und geölt. Drei Knöpfe ihrer Bluse standen offen und das Licht der Straßenlaternen in der Mill Road schien ihr ins Gesicht und fiel auf das Muttermal an ihrer linken Brust, das im Ausschnitt zu sehen war. Sie griff nach seiner Hand und umfasste sie mit beiden Händen.
In der Küche sang Stan irgendein düsteres, altes polnisches Lied über eine Wiese - so viel verstand Fletcher - und einen Bullen oder Bulldozer oder etwas dergleichen.
Cathleen ließ Fletchers Hand nicht los und saß einfach da und sah
Weitere Kostenlose Bücher