Stahlstiche
Habichte in der Luft»; es wurde ein Mißerfolg. Es folgten vielbeachtete Romane, seinen Lesungen bei der Gruppe 47 lauschte man mit dort seltener Anteilnahme – und fast zwanzig Jahre später, 1968 , kam der ganz große Erfolg mit dem so wundersam-eindringlichen Roman «Deutschstunde»: ein Auflagenmillionär war geboren, dem sein von Beginn an treuer Verleger Thomas Ganske ein Nolde-Gemälde schenkte; der durch die Verfilmung des Romans ein noch größeres Publikum erreichte, berühmt nun und eine vielfach dekorierte Person der Öffentlichkeit; aber Siegfried Lenz – hier einer der schönen Widersprüche dieses Künstlers – blieb leise, bescheiden, wenngleich beharrlich. Eine «neue Regierung» forderte auch er in dem sagenumwobenen rororo-aktuell-Bändchen (mit dem diese Taschenbuchreihe 1961 aus der Taufe gehoben wurde), und man darf sich ins Gedächtnis rufen, daß des Schriftstellers Intervention von einem moralischen Impetus getragen war: «… eine der ungeheuerlichsten, wenngleich wohl bezeichnenden Entsprechungen war der Versuch der Emigranten-Diffamierung in dem Augenblick, als Willy Brandt zum Kanzlerkandidaten der SPD nominiert wurde. Die Erklärung eines CDU -Ministerpräsidenten – er wisse, was er drinnen tat, von Brandt aber wisse er nicht, was der draußen tat – war weit mehr als Entmutigung: Sie weckte Befürchtungen, die jedes Vertrauen ausschlossen. Hier erlebte die Moral eine ihrer schwerwiegenden Niederlagen.»
Durchaus konnte man Siegfried Lenz neben dem «Trommler», seinem Freund Günter Grass, fortan auf politischen Podien erleben; leise bedeutet nicht duckmäuserisch. Keiner von beiden indes gehörte zu den heute gerne als «wild» denunzierten sogenannten « 68 ern». Aber die Parenthese (sie biegt nicht ab vom Weg des Schriftstellers Siegfried Lenz) mag erlaubt sein: Die paar Eier auf Amerikahäuser – mir damals als «antiamerikanisch» zuwider – waren ja Kinderspiel, hat man ein von Guantánamo bis zu CIA -Flügen und dem total unsinnigen Irak-Krieg kriminell gewordenes Amerika vor Augen; der Ruf, der den Muff aus den Talaren herauspusten wollte, klingt wie ein Kinderlied angesichts der Tatsache, daß nie ein einziger Nazirichter in der BRD verurteilt wurde, daß eine der größten ihres Gewerbes, die Dresdner Bank, Hauptsponsor der SS , zutiefst in das Verbrechensräderwerk des Naziregimes verflochten war; selbst die als übelster Mißbrauch frühmarxistischen Denkens attackierte «Stamokap»-Theorie der jungen Rebellen (Staat und Monopolkapital also eng verflochten) ließe sich anno 2006 neu überdenken, liest man von Massenentlassungen als Voraussetzung steigender Aktienkurse und dem Tages(!)gewinn von 100 Millionen Euro einer Ölfirma.
Was hat dieser kleine Gedankenausflug mit dem Romancier Siegfried Lenz zu tun? Ich glaube: sehr viel. Gewiß, Arno Schmidt hat recht mit seinem Satz (aus der Dankadresse zum Goethe-Preis 1973 ): «Der Schriftsteller soll alleine gehen.» Das tat auch Siegfried Lenz; aber er
lebte
nicht jenseits dieser Welt. Womit wir bei seiner literarischen Methode wären. Eine solche aber ohne ein Menschenbild, ohne einen Entwurf vom Menschen, gibt es nicht.
So wage ich, wohl wissend von der Fragwürdigkeit jeglicher Etikettierung, die Formel «Humanistischer Realismus». Damit ist gemeint: Das Humanum Siegfried Lenz ist immer Teil seines Werks; er ist immer innen drin in seinen Texten, nie ironiegekälteter Außenbetrachter der Begebnisse. Vom Briefträger, der Nolde «gemütlich» das Malverbot überbringt, bis zu jenem einigermaßen unheimlichen Arne (aus dem verwoben traurigen Roman «Arnes Nachlaß»), von dem der Berichterstatter ja selber sagt, er fühle sich «wie ein Eindringling in seine Welt, seine Tränen, seine verborgenen Hoffnungen» – immer und immer spüren wir einen Hobelspan von Wissen und Gewissen dessen auf, der uns diese Geschichten erzählt. Um ein kühnes (mag sein: altmodisches) Wort zu benutzen: Siegfried Lenz sperrt seine Seele nicht aus. Er will kein Mallarmé-Wortklöppler sein, der zierlich-artistische Tanzfächer mit Hieroglyphen dekoriert, die sich allenfalls auffächern lassen; erschließen nie. Auch das, fraglos, ist eine Spielmöglichkeit der Literatur. Es ist nicht die des Siegfried Lenz – er ist nicht vorwitzig genug, uns die Welt zu enträtseln; aber er versucht, uns Schlüssel zu geben für die tausend Ritter-Blaubart-Zimmer, hinter denen sich die Wirklichkeit verbirgt. Wirklichkeit und Wahrheit,
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