Stahlstiche
dem «eine alte, abgedankte Cocotte die Rolle von Potiphars Frau spielt». An der Frau seines Freundes, des Kunstkritikers Meier-Graefe, weiß er zu verachten, «daß Frauen, selbst die gescheitesten, immer auch mit dem Geschlechtsteil urteilen».
In der Einleitung der vorliegenden Edition wird die Frage nach Harry Graf Kesslers Homosexualität etwas leichthin, fast indigniert beiseite geschoben; fast so, als sei Homosexualität eine ansteckende Krankheit, jedenfalls ein Makel. Ganz so einfach ist das nicht. Denn wenn er selber auch, stets der diskret-elegante Mann von Welt, nie über ein gelegentliches, aber anonym bleibendes «Ich habe einen Menschen gefunden, für den ich alles gäbe» hinausgeht, so ist doch sein Verhältnis mit dem Radsportler Gaston Colin durchaus belegt, das wohl 1907 begann. Belegt durch die Skulptur «Le Cycliste», einer der apartesten männlichen Akte überhaupt, die er – Phase für Phase kontrollierend – bei seinem Freund Maillol bestellte. Zu der Zeit, und Jahre hindurch, war Graf Kessler der wichtigste Mäzen Maillols, und es ist fraglos, daß er dem von ihm fast abhängigen Bildhauer – frei nach dem eigenen Bekenntnis «Man wird in der Ästhetik nie wirklich weiterkommen, bis man nicht das Sexuelle in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt» – diesen herrlichen Bronzejüngling wohl abgetrotzt hat. Das war die Zeit, zu der er mit dem damals 17 jährigen Radrennfahrer und späteren Piloten reiste, mal auf das normannische Schloß der Mutter, mal nach Neapel, Rom oder Dänemark. Der Kessler-Biograph Peter Grupp zitiert Briefe des Sportlers, die in ihrem Überschwang – «Ich könnte nicht mehr ohne Sie leben … Ich lebe nur für Sie» – füglich Liebesbriefe genannt werden müssen. Noch 20 Jahre später heißt es: «Ich denke vor allem an viele Tage des Glücks.» So sonderbar es einem erscheint, daß der erwachsene Harry Graf Kessler, Erbe eines sehr großen Vermögens und in stets aufs erlesenste ausgestatteten Wohnungen oder Häusern lebend (das Haus in Weimar hatte er sich von van de Velde einrichten lassen), an den Wänden Monet oder Seurat, auf dem Schreibtisch eine in ihrer Figürlichkeit dem «Cyclisten» sehr ähnliche Minne-Bronze – so erstaunlich es also ist, daß er offensichtlich diese Maillol-Bronze nie besaß: so unverständlich-gschamig will es mich dünken, dieses Moment der Beglückung außer acht zu lassen.
Was in dem jetzt vorliegenden Band des «Tagebuchs 1892 – 1897 » nicht unbedingt zur Debatte stand. Die Herausgeber haben auf wohltuende Weise in den Kameradschaften und Freundschaften des jungen Mannes, ab 1892 Einjährigen-Freiwilliger bei den Garde-Ulanen in Potsdam, nicht fragend herumgestochert «Könnte das …?» oder «Ob das wohl etwas mehr …?». Sie verweigern sich dem Bescheid eines amerikanischen Forschers von der «first great love affair», die Kessler 1893 mit dem Freiherrn von Dungern gehabt habe, und widersprechen auch dem Biographen Grupp mit seiner ähnlich präzisen Einschätzung. Sie geben in ihrer Einleitung ein möglichst auf Fakten und Daten eingeschränktes Bild; was – man lese die Entstehungsgeschichte der Zeitschrift «Pan» und Kesslers Engagement – nicht mit beschränkt zu verwechseln ist. Diese Edition zeichnet sich aus durch, falls das altmodische Wort erlaubt ist, Vornehmheit: Der Autor hat das Wort. Die Herausgeber wollen, daß wir nicht über, sondern von Harry Graf Kessler lesen. Und wahrlich, da gibt es genug Frappantes. Dieser verwöhnte junge Mann, der später einer der wichtigen Vertreter eines zum Sozialismus tendierenden Pazifismus werden soll, eines Tages Autor einer Rathenau-Biographie und Gastgeber eines der maßgeblichen Salons der Weimarer Republik, in dessen Speisezimmer Albert Einstein neben Josephine Baker saß, notiert bei seiner ersten Überfahrt nach New York – er ist Anfang dreißig –:
Mit dem Schiffskommissar über die Maschinisten bei den neuen Dampfern; auf der City of New York haben sie wegen der Hitze den Dienst verweigert; auf ihrer ersten Reise sind sechs am Hitzschlag gestorben; während ihrer Schicht werden sie im Maschinenraum eingeschlossen. Auf den Schiffen der Ostasiatischen Linie müssen sie, während sie Kohlen einfüllen, mit kaltem Wasser begossen werden; im roten Meer steigt die Temperatur im Maschinenraum bis auf 60 Grad. Auf manchen Schiffen, namentlich Cargoboats, haben die Maschinisten 14 Stunden Dienst täglich.
Egon Erwin Kisch läßt
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