Stahlstiche
Staatspreisdichter glattgehobelt, wenngleich kürzlich in einem glanzvollen Essay von Christoph Hein (sehr richtig) als «Mitglied einer terroristischen Vereinigung» charakterisiert; in Wahrheit sind die knappen Zeilen die Summe des politischen Menschenbildes von Büchner, von dem Friedrich Dürrenmatt sagte, «er sah den Menschen an sich selbst scheitern – überzeugt vom gräßlichen Fatalismus der Geschichte». Abgelehnt. Abgelehnt würde dann, konsequenterweise, auch Majakowskis «Vorwärts, Genosse Mauser» (es war, beiläufig, ebendiese Mauser, mit der der Dichter sich umbrachte), ein Autor, den sogar der Antipode Benn schätzte. Abgelehnt werden müßte dann gewiß auch Gottfried August Bürgers berühmte Schmetter-Zeile gegen das Gotteskönigtum «Du nicht von Gott, Tyrann!» wie arg vieles von Ezra Pound oder dem, dessen Name bereits Imperativ ist: Brecht.
Einem Kanon verweigerte sich jeder von diesen. In seinem soeben erschienenen furiosen Essay-Buch «Die Intrige» stellt Peter von Matt die zentrale Frage: «Wer bestimmt eigentlich, was in einem literarischen Werk gut und schlecht ist?» – und gibt eine Antwort, die schnelle Urteile ausschließt.
Wir dürfen daran erinnern, daß es unendlich viele Möglichkeiten und Formen der Lyrik gibt: das Ruf-Gedicht oder die Elegie, das Fürstenlob, das Faktennotat wie das Gelegenheitsgedicht, Protest oder Hymne, vor allem auch das Liebesgedicht; sogar das obszöne; Verlaine etwa, oft genug am Rande des Peinlich-Lächerlichen:
Und wenn auch nichts dich straffenmacht,
Ich bin von jenem Glied entzückt,
Das deiner Lende Leiste schmückt
Goldlichtbehaucht in düstrer Pracht
…
Das Ende schwillt ein bißchen bald
Und zeigt durchs Fleisch in süßer Blöße
Den Kauf von halber Daumengröße
Und eines Fischmauls runden Spalt, Den ich mit Küssen überdecke
In liebevoller Dankbarkeit. Erlaub, daß nun in Zärtlichkeit
Die Hand mit kühnem Griff sich recke, Um ganz die Kappe abzulösen
Derart, daß leuchtend rosablau
Der Kopf sich zeigt in freier Schau …
Fangen wir also bei der Verhandlung in Sachen Rolf Hochhuth beim Anfang an: Das Titelgedicht der soeben erschienenen «Drei Schwestern Kafkas. 100 Gedichte» ist Hochhuth pur, Aufschrei, Trauer und Schuldzuweisung; man muß gar nicht das schockierende Umschlagfoto der drei Ermordeten zu Hilfe nehmen (entsetzlich die Ähnlichkeit der jüngsten mit Kafka, Franz) im Kampf gegen die Kälte, die beim Lesen dieser Totenklage aufsteigt:
Drei Schwestern Kafkas
…
Wie Körner als einzelne, die zermahlen,
bleiben Menschen unsichtbar auf Tabellen.
Liest man jedoch, aber wer liest das noch!
vergast samt Familien Kafkas drei Schwestern,
«glücklich verheiratet» beschrieb die Mutter sie;
sieht Fotos – ist’s, als sei man gestern
Ihnen begegnet, die wie Mann, Kindern nie,
noch in Hitlers Prag nicht, an Flucht gedacht …
Grabinschrift für Millionen und Inschrift, will sagen: eingeschrieben in unser nie nachlassend gepeinigtes Gewissen. Strenge Form, Zucht der Worte, umwegloses Mahnmal; wenn das nicht Dichtung ist, dann ist Schönbergs «Ein Überlebender aus Warschau» auch nicht Musik.
Dabei muß man wissen: Was Hochhuth hier rhythmisiert, ist keineswegs immer und vor allem Attacke und Anklage; wie man – bei all seiner gelegentlich wirrköpfigen Interventionslust – diesen Autor falsch liest, sieht man in ihm nur einen lauten Schreihals. Ganz im Gegenteil: Die innere Struktur seiner Arbeit ist Verzagtheit und Klage. Hochhuth ist kein Linker, kein Umstürzler; er ist Bewahrer – und nur, wo er Bewahrenswertes bedroht sieht, greift er ein und an. So wehrt er sich im «Plötzensee»-Gedicht gegen Schillers «Das Gräßliche bedecke ewiges Schweigen», indem er ent-schweigt:
Raubt’s auch den Schlaf, ihr schlaft wieder ein.
Doch
ihre
letzte Nacht: wie «schliefen» die
hungernd an einen Mauerring Geketteten? Ein Bein
mit einer Bleikugel beschwert, weil ihre Zelle
aufblieb für Wärter, Pfarrer, «Richter» und Friseur.
Der Ton fassungsloser Trauer ist unüberhörbar. Seine Trauer sinkt zumeist ab in die Schwärze des Vergebens. Nicht zufällig ist Gottfried Benn Hochhuths meistzitierter Autor – er mißtraut wie jener dem Lauf der Geschichte, irgendeiner Fortschrittsidee gar; letztlich der Humanisierung des Menschen: «Will vergessen, was ich getan – und wie Menschen sind.» Fast wortgleich seinem jüngeren und zu jung gestorbenen Kollegen Thomas Brasch begreift er
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