Stahlstiche
Mißverständnis: Hans Küng ist kein Propagandist der aktiven Sterbehilfe; eher ein Verteidiger der passiven – sei sie vom Arzt aus Barmherzigkeit gewährt, sei sie aus (selbstverständlich nicht kommerzieller) erbetener Hilfe geleistet. Der Salzburger Philosoph und Theologe Emmanuel J. Bauer hat auf ähnliche Weise über die Würde nachgedacht, die auch dem Menschen zusteht, der seinen Lebensbogen aus ganz individuellen Gründen für ausgeschritten hält: Man möge ihn nach seinem festen und freien Willen gehen lassen.
Summa:
Weder theologisch noch philosophisch, noch juristisch (dieser Aspekt wird ja auch in den Niederlanden anders berücksichtigt) kann es hier eine reine Lehre geben. Es ist wohl das zutiefst existentielle Problem, dem wir Menschen ausgesetzt sind. Doch Verbotstafeln helfen am allerwenigsten. Sie sind inhuman.
«Die Welt», 4 . 4 . 2012
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Panoramen
Mein Versagen als Bürger der DDR
Ein Essay der kritischen Selbstbetrachtung
Kürzlich schickte mir ein Freund aus Berlin eine Ansichtskarte; sie zeigt ein Gemäuer mit der Unterschrift «Bunker. Aus der Folge ‹Facade›». Es sollte wohl eines jener «ulkigen» Plaste-und-Elaste-Erinnerungsstücke sein, mittels deren man sich – ob Trabi oder Spreewälder Gurken – die DDR gern zu kommoder Lächerlichkeit zurechtfeixt. Jedoch: Dieser graue Beton-Bunker war alles andere als komisch. Er war – die Fenster mit Brettern vernagelt, schräge, ein Luftloch nach oben – in den 50 er Jahren ein Stasi-Gefängnis; da saßen in gräßlichen Zellen unter anderem politische Häftlinge.
In diesen Jahren – 1950 bis 1958 – lebte ich in Ostberlin. Wir alle gingen, abendlich gekleidet, an diesem Bunker vorbei zu den berühmten Brecht-Premieren des Berliner Ensembles, das damals im Deutschen Theater in der Schumannstraße gastierte, zum nicht geringen Mißvergnügen des Intendanten Wolfgang Langhoff; denn das Theater am Schiffbauerdamm wurde Brecht ja erst 1954 zugesprochen. Alle Stephan Hermlins, Hans Mayers, Herbert Iherings flanierten in festlicher Stimmung zur «Mutter Courage» oder zum «Kreidekreis» an dem finsteren Elends-Klotz vorbei, bereit zu Kunstgenuß und Applaus.
Wir? Ich. Hier soll nicht die Rede sein von anderen, sondern von mir. Was geschah da in einem, der sein Wissen – also doch wohl: Gewissen – abgab wie den Mantel an der Theatergarderobe? Ich berichte so gerne und gar nicht unstolz davon, daß ich 1950 aus freien Stücken von Westberlin (wo ich 1949 Abitur gemacht hatte) nach Ostberlin umzog, nach despektierlichen Auftritten mit roter Nelke im Knopfloch am Askanischen Gymnasium in Berlin-Tempelhof und frechen Reden im RIAS -Schülerparlament. Ich attestiere mir das Motiv «Widerwille gegen Adenauer-Deutschland», und es ist ja wahr, daß diese deutsche Hälfte durchsetzt war von Ex-Nazis und geprägt von restaurativer Kulturdumpfheit. Doch das ist ein anderes Thema – nicht das meinige hier. Gut, ich war jung, noch nicht zwanzig – doch Jugend allein ist keine Qualität an sich, und man bleibt auch nicht immer zwanzig. Bald war ich nicht nur älter, Student der Humboldt-Universität und schon Lektor im zweitgrößten belletristischen Verlag der DDR , Volk und Welt, sehr bald war ich sogar dessen stellvertretender Cheflektor. Also durchaus Teil des Apparats, durchaus mit Privilegien – eigene Wohnung, Mitglied des Kulturbund-Clubs wie des Presse-Clubs, wo die Nomenklatura markenfrei recht gut aß.
Und ich wußte. Keineswegs kann ich mich in die angenehme Mär einspinnen, ich hätte immer nur Herder oder Aragon gelesen, Oistrach gehört und den Pergamon-Altar besichtigt. Im Gegensatz nämlich zu meinen späteren Kollegen bei Rowohlt oder in der ZEIT -Redaktion habe ich damals schon Arthur Koestlers «Sonnenfinsternis» gelesen, André Gides «Zurück aus Sowjetrußland» oder Essays von Ignazio Silone. Man konnte damals ungehindert nach Westberlin fahren, Bücher und Zeitschriften kaufen oder leihen, Filme und Theaterstücke sehen. Was ich alles reichlich und häufig tat. Aber in meinem Kopf muß eine Art Filter gewesen sein: ich nahm das alles wahr, wohl auch für wahr; aber ich ließ es nicht in mich ein. «Der Monat», der fraglos wichtige Texte publizierte, war, wenn nicht «der Feind», dann doch «ungültig»; es galten «Les Lettres Françaises», die von Louis Aragon allerdings glänzend inszenierte kommunistische Kulturzeitschrift.
Wie funktionierte das? Hatte jener Filter
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