Stahlstiche
. März 2012 – vorgeführte, ja: anempfohlene Doppelmoral ist zutiefst verstörend. Als der bedeutende Literaturwissenschaftler Hans Mayer mit dem Satz «Es ist genug» beschloß zu sterben, wurde ihm – er verweigerte Nahrung und Flüssigkeit – selbstverständlich geholfen; alle Eingeweihten wissen, wer ihm nobel zur Seite stand. Auch Hannelore Kohl starb nicht an Schokoladenpudding – selbstverständlich hatte sie einen «Sterbehelfer», der ihr die Präparate besorgte und sie einwies, wie sie das tödliche Mittel per Strohhalm zu sich nehmen mußte. All diesen, von mir ob ihres letzten Mutes bewunderten Menschen zollte die Öffentlichkeit verdienten Respekt. Selbst dem Illustrierten-illustren Gunter Sachs – doch die Pistole, mit der er seinem Leben ein Ende setzte, hatte er gewiß nicht bei Amazon bestellt. Er muß einen «Sterbehelfer» gehabt haben. Meinetwegen mögen sie «Beschaffer» heißen. Als der dieser Tage anläßlich seines 85 . Geburtstags zu Recht hochgepriesene Martin Walser jüngst öffentlich eingestand, er werde sich, «wenn es so weit ist, in Zürich einen anständigen Tod besorgen» (
recte
: kaufen) – da erhob sich keineswegs ein Sturm der Entrüstung.
Da haben wir also nicht nur eine Zweiklassenmedizin, sondern sollen uns offenbar an einen Zweiklassentod gewöhnen. Der Millionär von Brauchitsch «darf» sich in der Schweiz sein freiwilliges Ende «kaufen» wie die «Bundesliga-Legende» Timo Konietzka; diese Sterbehilfe wird – bedauernd – akzeptiert. Es gilt offensichtlich eine stillschweigende gesellschaftliche Übereinkunft. Aber muß man ein reicher Industrieller, ein bekannter Fußballsportler, eine Politikergattin, ein berühmter Schriftsteller sein, um die ansonsten inkriminierte aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu dürfen? Die dürfen – sie müssen nicht Aids noch Krebs, noch multiple Sklerose haben – nach freiem Entschluß ihrem Leben ein Ende setzen? Und der Briefträger, der Kfz-Schlosser, der Maurer – die haben sich gefälligst von der Brücke zu stürzen? Ich meine mich nicht falsch zu erinnern: Marilyn Monroe hatte kein von Hautkrebs unheilbar entstelltes Gesicht; doch eine Welt behält sie in trauernd-enthusiastischem Gedächtnis.
Wer bestimmt da, was jemand wann und auf welche Weise «darf»? Der Staat? Ich spreche dem Staat rundweg jegliches Recht dazu ab. Ich bin niemandes Eigentum.
Der Staat hat mir mein Leben nicht gegeben, er hat von mir keinen Auftrag, über das Ende zu wachen. Es ist das alte deutsche Mißverständnis, der Staat und seine Vollzugsbeamten seien höhere Wesen. In Wahrheit ist es umgekehrt: Bis hinauf ins höchste Amt sind sie meine Angestellten (und die von ca. 80 Millionen Bürgern), wir bezahlen sie. Ob Bundeskanzler(in), Minister oder, Gott bewahre, die spesengefütterten EU -Beamten in Brüssel – sie haben in meinem Leben, auch meinem Lebensende, nichts zu suchen. Ich bin kein Untertan. Doch nach wie vor herrscht da eine Verducktheit. Mühelos könnte ich ein Dutzend mir bekannte Menschen nennen – «Prominente» wie sogenannte «Normalbürger» –, die sagen: «Wenn es so weit ist, finde ich hoffentlich einen verständnisvollen Arzt, der …»
So ein Arzt wäre aber kein Cocteauscher Todesengel, wozu ihn unausgesprochen der Journalist Kamann macht. Auch der ehemalige Hamburger Innensenator Dr. Roger Kusch – den der Aufsatz kriminalisiert – ist das nicht. Ich kenne mehrere durchaus reflektierte Publikationen von ihm, nicht zuletzt seine ernste Auseinandersetzung mit dem (wohl unverdächtigen?) katholischen Moraltheologen Hans Küng. Der hat die Debatte auf ein beachtliches und verantwortliches Niveau gehoben; in seinem mit Walter Jens gemeinsam verfaßten Buch «Menschenwürdig sterben» heißt es gleich eingangs: «Dabei hilft es in keiner Weise, wenn man besonders in Deutschland schon die vernünftige Diskussion darüber mit dem Hinweis auf die Nazi-Zeit tabuisiert und alle, die hier differenziert zu argumentieren suchen, in die Nähe der Nazi-Mörder rückt» – um dann fortzufahren: «Selbstbestimmung meint
nicht Willkür, sondern Gewissensentscheidung!
… Das Recht auf Weiterleben ist keine Pflicht zum Weiterleben, das
Lebensrecht kein Lebenszwang.
»
Küng wäre kein Theologe, wenn er uns nicht daran erinnerte, daß «selbst der erste König Israels, Saul, in seinem Königtum gescheitert und von seinen Feinden besiegt, sich schließlich in sein eigenes Schwert stürzte». Kein
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