Stahlstiche
zu der Zeit Präsident der Akademie der Künste, gehalten hat. Grass hat seinen Kollegen von der bildenden Kunst ein wenig vorgeworfen, daß gerade nach dem Krieg ihre Kunst inhaltslos geblieben war. Daß es bis zum Tapetenmuster oder zum Design der Teekannen verkam und daß sie die Vergangenheit nicht aufgearbeitet haben durch Form. Das ist das eine, Alfred. Nun kann man aber auch sagen, es gab ja schließlich nicht nur Malewitschs «Schwarzes Quadrat», sondern es gibt auch heute einen Rothko, um mal ganz extreme Figurationen zu nennen. Die fangen schon auch etwas vom Menschenbild ein, oder?
HRDLICKA : Nein, ich glaub nicht. Ich kann nur sagen, es nennen sich viele Leute figurativ. Wotruba, bei dem ich gelernt habe, nannte sich auch figurativ. In Wirklichkeit war es Postkubismus, wobei ich also den ursprünglichen Kubismus als Analyse der menschlichen Figur oder der Lichteindrücke hoch schätze. Sicher wird der Kubismus nicht nur von der Negerkunst oder von Cézanne, sondern auch von einer Analyse der Natur gespeist. Und wer Picasso, sein Jugendwerk, kennt, weiß, daß Picasso ein unglaublich malerisches Auge gehabt hat und daß aus diesen Lichtbrechungen, dieser eigenartigen Verschachtelung, der Beweglichkeit der Form in sich, dem Versuch, zweidimensionale, dreidimensionale Figuren herzustellen, Kubismus wurde. Also der Versuch, alle simultanen Ansichten herzustellen. Solche Formanalysen haben mich immer interessiert, und ich muß auch sagen, der Kubismus ist bis heute für mich eine riesige Faszination. Ich finde, dort, wo man aus dem Kubismus das Dekorative herausdestilliert hat, beginnt die Kunst langweilig zu werden. Das heißt einen Stil als Stil zu gebrauchen und den Stil nicht als angewandt auf das Leben zu gebrauchen. Kunst ist immer eine Abstraktion, wie ich gesagt habe, oder ein stilistisches oder ästhetisches Problem; aber in dem Moment, wo sich die Kunst selber immer nur widerspiegelt und aus sich heraus immer sagt, nach
der
Kunst kommt
die
Kunst, und nach dieser Kunst kommt jene Kunst, das finde ich einfach albern. Die Kunst ist doch nicht ein Spiel, sondern die Kunst ist etwas, das gemessen wird an der Realität.
FJR : Glaubst du, daß du mit deiner Arbeit aufklärst? Ich meine nicht einmal so ablesbar politische Arbeiten wie das Engelsdenkmal oder das Monument, das du jetzt in Hamburg entwirfst. Ich nenne es ja ein Anti-Kriegs-Monument, denn es ist viel mehr als ein Denkmal. Glaubst du also, mit dieserart vermittelten Entwürfen – mit einem Marsyas oder mit einem Gekreuzigten – diesen aufklärerischen Impuls vorantragen zu können? Und wenn: welchen? Was schwebt dir da vor?
HRDLICKA : Wenn du mich unbedingt einen Aufklärer sein lassen willst … Ich glaube, daß die Entschiedenheit und die Neigung, die Absicht und die Neigungen sich schon verquer kommen. In der Hinsicht muß ich schon zugeben, es ist nicht so, daß ich immer nur gute Absichten hätte und die guten Absichten triumphierten in meiner Kunst. Das wäre eigentlich ideal. Aber was herauskäme, wäre doch sehr steril oder ein Leitartikel, wie man das so schön nennt. Ich verfasse keine Leitartikel, sondern ich muß schon sagen, daß meine Neigung zugleich auch die Kunst in merkwürdige Dinge verwandelt, wie man ja weiß, obwohl ich mich als Marxist bekenne. Du hast mich doch angeheuert, an diesem Buch «Warum ich Marxist bin» mitzuarbeiten. Und ich kann mich erinnern, ich habe damals zu dir am Telefon gesagt «Geh, heuer mich doch lieber an für ein anderes Buch beim Kindler Verlag» – zum Beispiel «Warum ich Christ bin». Die Dinge sind nicht so eindeutig. Viele meiner politischen Polemiken bedienen sich der christlichen Ikonographie. Und diese Ikonographie ist ja nicht nur eine übernommene, sondern ich glaube, sie ist halt eine Bildersprache in unseren Breiten, die sehr viel mit dem Wesen der Leute zu tun hat, die hier wohnen, und damit, wie wir alle leben. Ich bin ja auch nur ein Produkt dieser Gegenden oder auch dieses Dritten Reichs, das zuerst einmal Austrofaschismus war, dann war es brauner Faschismus, dann kam die Befreiung, dann kam die Nachkriegszeit. Nur glaube ich aber, daß ich mich selber nicht so gut analysieren kann, ich leg mich nicht selber vor mir auf den Diwan und sag ‹wer bist du?› – So einfach ist das nicht.
FJR : Nun gibt es einen sehr merkwürdigen und, ich finde, schönen Satz von dir, ich glaube ungefähr so: «Alle Macht der Kunst geht vom Fleische aus.» Du hast vorhin das Wort «der
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