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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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stalinistischen Terror, gegen den Vietnamkrieg oder das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens – sein Werk ist immer mehr als die Summe seiner politischen Einsichten. Sollte es sein.
    FJR : Arthur Miller – ein skeptisch Hoffender, ein Kämpfer mit dem Lächeln der Ironie in den Augenwinkeln?
    MILLER : Ich habe kein fertiges Bild vom Menschen, ich sehe ihn mal skeptisch, mal hoffend. Das ist vielleicht die Dialektik des Dramatikers. Alles, was ich weiß, ist: Jeder Mensch hat eine Art «Angstknopf» in sich. Wird der gedrückt, gibt es jähe und unkontrollierbare Reaktionen: Gewalt, Panik, Flucht, Selbstzerstörung. Jede Art Finsternis. Ich kann nicht mehr tun als da hineinleuchten.
    DIE ZEIT , 38 / 10 .  9 .  1998

«Kunst beruht auf der Angst vor dem Tod»
    Gespräch mit Alfred Hrdlicka
    Vom Literaturnobelpreisträger Elias Canetti bis zum DDR -Nationalpreisträger Fritz Cremer hat er eine große Gemeinde der Bewunderer und Interpreten: Alfred Hrdlicka, der bedeutendste Bildhauer der europäischen Moderne neben Henry Moore. Als dieser Hrdlicka seinerzeit in seinem Wiener Atelier besuchte, stellte er eine starke Gemeinsamkeit der künstlerischen Interessen fest. Bildhauerei als Kunst, die von der menschlichen Figur ausgeht und zu ihr hinführt. Alle Kunst geht vom Fleische aus, das ist Hrdlickas Credo. Damit ist gesagt, in allen Verwerfungen und Verkrümmungen birgt sich das Humane, auch seine Gefährdung.
    Ob in einem Gekreuzigten oder einer Hure, im homosexuellen Künstler Pasolini oder im marxistischen Theoretiker Ernst Fischer, ihre Bildnisse schlug Alfred Hrdlicka aus Stein, um ein großes Leitmotiv künstlerisch zu bannen: der Mensch als Täter und Opfer zugleich. Die Versehrtheit seiner Skulpturen führte er im Appell des österreichischen Marxisten vor. Eher ein Flehen als ein Aufschrei, eher die Gebärde des Bittens um Mitleid als Parole. Das Verstehen der Märchen-, Alb- und Rätselwelt, die von Hrdlickas Hünen und Krüppeln, Helden und Nutten, Gemarterten und Gekreuzigten, Mördern und Ermordeten bevölkert wird, ist nicht leicht. Vielleicht hilft hier ein Begriff: die Religiösität. Auch wenn Hrdlicka es leugnet – «mein Zugang zur Religion ist in erster Linie Interesse an der Bibel, das Zeremoniell der Liturgie blieb mir immer uneinsehbar» –: Das gigantische Erzählwerk seiner Zeichnungen, Graphiken und Plastiken hat einen Zug tiefer Religiosität. Damit sind nicht gemeint die bildnerischen Motive wie das des oft variierten Gekreuzigten: gemeint ist die innere Haltung eines säkularen Predigers. Hier liegt die Sprengkraft der Radikalität, die sich in seinen mächtigen Marmorskulpturen birgt, ob in der Renner-Büste in Wien, dem Bronzerelief im UNESCO -Gebäude in Paris, dem Friedrich-Engels-Denkmal in Wuppertal oder in seinem begonnenen Anti-Kriegs-Monument in Hamburg. Für einen Skandal ist seine Arbeit allemal gut. Hrdlicka nennt die Eiferer «derbe Schmierer», Leute, die sich in einer Opernaufführung nicht einmal zu husten trauen und von Anarchie reden, wenn sie einen Kratzer am Lack ihres Autos vorfinden.
     
    FRITZ J. RADDATZ : Das Gespräch, das ich führen möchte, geht um Ästhetik und Politik – oder, wenn man den Begriff Politik etwas weniger eng fassen will, um Moral und Ästhetik; und ich finde, da gibt das Werk von dir, Alfred Hrdlicka, eine ganze Menge Rätsel oder auch Widersprüche auf. Ich erinnere mich an einen mir besonders eindringlichen Satz von Baudelaire, ich glaube, er hat ihn über Goyas Arbeit gesagt. Da heißt es, es sei unmöglich, die Naht – den Schnittpunkt – von Wirklichkeit und Phantasie zu erfassen. Die Grenzlinie ist so unbestimmt, daß selbst der klügste Mathematiker sie nicht zu ziehen wüßte. Nun ist ja dein Werk, ich weiß nicht genau, ob realistisch oder naturalistisch, aber doch sehr stark ernährt von dem zumindest aufklärerischen Impuls, Wirklichkeit verhältnismäßig direkt darzustellen und damit auch auf Wirklichkeit einzuwirken. Also ist das ein politischer Impuls; aber doch gleichzeitig vor der vordergründigen Wirklichkeit auch ein ästhetischer Impuls. Was ist da eigentlich das Überwiegende, das Stärkere bei dir, wenn du mit einer Skulptur, mit einer größeren plastischen Arbeit erst mal «ringst»?
    ALFRED HRDLICKA : Der Ursprung ist das Interesse an einem Thema. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich mir vornähme, eine bestimmte Form zu produzieren, also in der Früh aufzustehen und zu sagen: «Heut mach ich

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