Stahlstiche
wie vor eine Rasse; übrigens eine, die nie Ihr Publikum war, die Sie augenscheinlich auch nie im Auge hatten – Arthur Millers Theater ist ein Theater für Weiße.
MILLER : Als ich in die Welt des Theaters kam, spielten Schwarze keine Rolle, sie lebten in einer anderen, ihrer eigenen Kultur; sehr gelegentlich gab es einen schwarzen Schauspieler, im Publikum saß kein einziger.
FJR : Akzeptieren Sie, wenn ich sage, daß die Rassenfrage nach wie vor eine Klassenfrage ist – daß ein großer Teil der Amerikaner nicht Teil Ihres Publikums ist?
MILLER : Nein, das akzeptiere ich nicht. Der reißende Grenzstrom verläuft anderswo: daß mit rasender Geschwindigkeit die Reichen in diesem Lande immer reicher werden und die Armen immer ärmer. Und der jetzige Präsident ist nichts als der Manager dieses Konzerns. Die Trennung betrifft auch die Schwarzen. Es gibt eine sehr wohlhabende schwarze Mittelschicht mit einigen sehr Reichen, viele hochgebildet und Absolventen berühmter Hochschulen – und eine verelendende Masse ohne Chance. Ich weiß nicht, ob Schwarz und Weiß in Amerika je zu einem vernünftigen und humanen Miteinander finden werden – aber gebessert hat sich die Situation, verglichen mit den fünfziger Jahren, wesentlich. Prediger Arthur Miller ist zufrieden.
Richter aber ist er nicht und will er nicht sein. Auch nicht über Brecht oder andere. Vielleicht war er ein bißchen feige, vielleicht war er ein bißchen korrupt. In gewisser Weise stimmt es nicht einmal, wenn ich sage, ich will nicht richten. Jeder Mensch urteilt, verurteilt; ich auch. Doch ein Schriftsteller sollte das in seiner ureigenen Arbeit nicht tun – sein Lot würde zu flach aufstoßen. Der Schriftsteller darf nicht außen sein, er ist immer ein Teil von allem und allen. Er ist jede seiner Figuren. Sie kennen die Antwort William Faulkners auf die ewige Frage der literatursinnigen Dame: «Und wer von den Personen sind Sie?», nachdem sie einen seiner krudesten Romane gelesen hatte, in dem ein Mädchen mit einem Maiskolben vergewaltigt wird: «Ich, gnädige Frau, bin der Maiskolben.»
FJR : Frivol – und gelogen, wie vieles bei Faulkner. Ich würde dem gern Ihre Äußerung entgegenstellen: «Was wir brauchen, ist Nahrung, Sexualität und Selbstverständnis. Der Rest ist Kommentar dazu.» Erhebt sich die Frage: Ist dann Ihr dramatisches Werk der Kommentar?
MILLER : Es ist wohl beides – die Innenschau der Conditio humana, und ein Versuch ihrer Interpretation. Alle meine Stücke beruhen auf der Annahme oder Vermutung, daß das Leben einen Sinn hat. Ich versuche zu ergründen, worin er liegt – und was Menschen davon abhält, ihr eigenes Maß zu finden, was sie veranlaßt, den Sinn gleichsam zu versäumen.
FJR : Also doch Kunst als Mittel, die Gesellschaft zu verändern? Da fänden Sie sich in einer sehr anderen Ahnenreihe als der von Mallarmé, Kafka, Beckett. Und dann wäre es keine flüchtige Formulierung, wenn Sie sich einmal sehr einverständig zum marxistischen Credo «Kunst als Waffe», gar zu Stalins verhängnisvoller Formulierung vom «Schriftsteller als Ingenieur der menschlichen Seele» geäußert haben? O-Ton Arthur Miller: «Ich wüßte nicht, wie man irgend etwas Vernünftiges schreiben kann, ohne daß irgendwann die Frage von Gut und Böse an zentraler Stelle auftaucht.»
MILLER : Sie wollen mich festlegen. Aber ein Künstler ist nie ganz auf einen Begriff zu bringen. Als Sartre auf den Pariser Straßen sein anarchistisches Revoluzzerblatt verteilte, arbeitete er zugleich an dem riesigen Psychogemälde von Flaubert: «Der Idiot der Familie».
Mein Lebensmotto heißt «Nie stehenbleiben! Immer werden». So habe ich meine Urerfahrung, aus einer jüdisch-polnischen Einwandererfamilie zu stammen und zu wissen: Wäre diese Familie in Polen geblieben, wäre ich keine dreißig Jahre alt geworden – diese Wunde habe ich kaum je zum Thema einer Arbeit gemacht. Mag sein, daß da etwas schwärte, mich unangepaßt, gelegentlich störrisch machte, daß ich der eingebauten Trägheit jeder Gesellschaft entgegenwirken wollte. Zugleich ist mir politische Philosophie fremd, sie ist nicht mit einem Drama zu verschmelzen.
Irgendwo habe ich mal geschrieben, daß jedes literarische Kunstwerk eine Wertminderung erfährt, wenn es ein politisches Programm repräsentieren will, eingeschlossen das des Autors. Der Schriftsteller – jeder Künstler – mag, so er öffentlich Gehör findet, seine Stimme erheben gegen Nazibarbarei,
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