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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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sie immer, und so werden sie immer sein. Wenn ich sage ‹Prediger›, so bist du für mich jemand, der eigentlich will, daß sie so
nicht
sein mögen, und der das Seine dazutun will, daß sie mindestens wach werden und ein Bewußtsein bekommen. Das ist der genaue Widerspruch zu dem, was Lévi-Strauss sagt.
    HRDLICKA : Hier kann ich meine Position nicht so leicht klären. Die Kunst ist zugleich etwas, das sicherlich Aufklärung ist, in der Hinsicht bin ich vielleicht ein Prediger oder ein Aufklärer oder ein Polemiker vor allem. Das heißt aber nicht, daß ich mir so völlig bewußt wäre, daß meine Dinge nur Nützliches erzeugen. Aber ich kann mich noch erinnern, wie mein Freund Georg Eisler zum ersten Mal ein Bild von mir gesehen hat, das heißt «Die Badenden». Das bezieht sich auf eine Geschichte, die ich im Krieg gehört habe, wie Juden auf einem Transport einfach umgebracht wurden. Dieses Bild hat der 1960 zum ersten Mal gesehen und hat zu mir gesagt: «Ich glaub, jeder SS -Mann wird sich über dieses Bild sehr freuen.» Was eine sehr gehässige Bemerkung von ihm war und auch eine merkwürdige – ich bin sehr nachdenklich darüber geworden und hab mir gedacht, meine Aussage ist offenkundig nicht sehr eindeutig. Sie ist eher wie eine Feststellung, daß das passiert ist; man könnte mir fast sagen, wie schön, daß das passiert ist. Dieses merkwürdige Bild hängt heute noch bei mir in der Wohnung, komischerweise habe ich mich daran gewöhnt, und meine Frau hat sich auch daran gewöhnt. Aber es mag vielleicht auch etwas Wahres dran sein. Das heißt also, ich weiß nicht, ob Kunst immer so zielgerichtet erzieherisch ist. So, wie ich mich immer, bei allen guten Vorsätzen, gehütet habe, ein Unterschriftenautomat zu werden, so ist es auch nicht so eindeutig, daß bei der Kunst wie bei einer Faschiermaschine immer das Gute herauskommt. Dreh einfach das Stück Fleisch durch den Fleischwolf, und unten kommt das Gute heraus. Es ist halt ein merkwürdiger Prozeß, und irgendwann wird die Endabrechnung sein, aber wäre es einfach, wär’s vielleicht auch langweilig für mich.
    FJR : Wie läuft der handwerkliche Prozeß, zum Beispiel mit Marmor? Suchst du zum Beispiel selber den Marmor aus für die großen Skulpturen? Und wenn du vor so einem Brocken stehst – ich meine, das ist ja erst mal ein Stück tauber Stein, oder? Es gibt zwar Leute, die sagen, Michelangelo hat im Stein schon vorher die Figur gesehen. Gilt das auch für dich, daß ein bestimmter Stein etwas Bestimmtes transportieren kann, was ein anderer Stein nicht transportieren könnte?
    HRDLICKA : Picasso hat einmal, glaub ich, über den Fotografen Brassaï gesagt: «Er versteht gar nichts.» Sie haben über Fleisch gesprochen und über weibliche Formen und sind sich beide einig gewesen, daß die weibliche Form dem Gefäß sehr nahekommt. Und sie haben sich, glaub ich, gemeinsam Kokosnüsse angeschaut, eine polierte und eine behaarte Kokosnuss – also ein ganz verrücktes Gespräch, wie man’s halt so führt, nicht? Und Picasso hat gesagt: Er würde sich eher vorstellen, daß man nicht in einem Marmorblock etwas «findet», sondern aus Wurzeln, aus Gefundenem, aus Knochen – so ähnlich wie auch Henry Moore es gemacht hat, der mir einmal gezeigt hat, daß er eine Knochensammlung und eine Holzsammlung und eine Steinsammlung hat, also assoziativ etwas aus den Materialien herausholt. Und Picasso sagte wortwörtlich: «Ich verstehe Michelangelo nicht, wie konnte er aus einem Marmorblock den David schlagen, was hat er darinnen gesehen?» Und hier muß ich sagen, bei aller Verehrung für Picasso, ich bin das Gegenteil vom assoziativen Künstler, ich brauche nicht bestimmte Formen, die mich anregen, in diese Form dann meine Form zu schlagen, sondern ich bin hier wirklich der blanke Anhänger des Marmorblocks oder des weißen Blatt Papiers, des Viereckigen, das heißt des totalen Rohstoffs. Picasso konnte sich das nicht vorstellen, und wir kennen auch die Skulpturen von Picasso, der eben einen Fahrradsattel genommen hat und dann eine Lenkstange und daraus einen Stierkopf gemacht hat. Oder er hat einen Korb genommen und daraus einen Ziegenkörper gemacht. Also Picasso ist immer assoziativ vorgegangen und hat nicht verstanden, daß man in den reinen Block einfach hineindenken kann. Das ist von ihm wortwörtlich sogar. Aber ich bin das völlige Gegenteil. Bei aller Verehrung für Picasso: Ich kann nur in Rohstoff denken.
    FJR : Ohne Skizze zum

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