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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Mensch» benutzt. Also ist das identisch? Und welche Rolle spielt das für deine Arbeit? Denn sie hat ja auch einen großen erotischen Appeal! Ich meine damit nicht Sex-Appeal, sondern eine erotische Sogkraft. Allein das Gefühl, daß man diese Figuren berühren möchte, sie streicheln möchte oder auch schockiert von ihnen ist: Das hat ja immer einen fleischlichen Magnetismus. Was meinst du mit diesem Satz, der – so glaube ich – vor allem auf Skulptur bezogen war: Alle Macht der Skulptur, der skulpturalen Kunst geht vom Fleische aus?
    HRDLICKA : Das hat vielleicht wirklich mit der christlichen Ikonographie zu tun. Denn wir wissen doch, daß zum Beispiel die christliche Religion – aber nicht nur sie allein, sondern eigentlich alle Religionen, die unheimlich abstrakt sind – uns große Weltbilder und Erklärungen liefern für die Ordnung der ganzen Welt. Der große Gottesbeweis besteht ja wesentlich daraus, daß sich dieser Gott in einen Menschen verwandelt, also in Fleisch. Wenn ich von der Fleischwerdung spreche oder sage, alle Macht in der Kunst geht vom Fleisch aus, so kann ich nur daran erinnern: Auch in der Religion geht alle Macht vom Fleisch aus. Auch die Päpste interessierte das Fleisch wie nichts anderes auf der Welt, bis hin zur Unzucht. Der jetzige fährt nach Südamerika und sagt: Pflanzt euch nur ordentlich fort! Dann können wir taufen, dann können wir verehelichen, dann können wir begraben! Also, was wär der Katholizismus ohne das Fleisch? Einen Katholizismus ohne Fleisch, den gibt’s ja gar nicht. Der Katholizismus ist die blanke Bestätigung der sogenannten Fleischwerdung.
    FJR : Nun stellst du in deiner Arbeit meist etwas anderes in den Vordergrund – ich sage mal: das versehrte oder das entstellte Fleisch. Du äußerst dich – ich will nicht sagen: zur Sünde, um nicht zu sehr in der christlichen Terminologie zu bleiben, aber zur Verworfenheit, zur Verfallenheit. Was du machst, ist ja nicht vordergründig schön, die Körperlichkeit hat auch etwas Entsetzliches, sie hat auch etwas zum Tode hin Verfallendes. Der «Sterbende» von dir schreitet sozusagen in den Tod hinein. Aber mir fällt noch ein anderes Element auf, das du bisher nur sehr wenig erläutert hast – ich glaube, nur ein einziges Mal – nämlich eine große Nähe zur Homosexualität. Was ist das für eine Anziehungskraft, die sie offenbar auf dich ausüben muß? Du hast mal gesagt «Ich kann damit persönlich gar nichts anfangen, die gleichgeschlechtliche Liebe ist kein Lustgewinn für mich». Und gleichzeitig spielt die homosexuelle Körperlichkeit, ihre Figuration, doch eine ganz große Rolle bei dir – nicht nur, weil du Pasolinis Tod in Stein gebannt hast. Womit hängt das zusammen?
    HRDLICKA : Ja, das hängt, glaube ich, mit vielen Dingen zusammen. Erstens einmal glaube ich, daß es bei der Körperdarstellung ohne den erotischen Anklang gar nicht geht. Das ist mir völlig klar. Zweitens glaube ich, daß Fleischwerdung ohne diese Stimulanz des Erotischen nicht möglich ist. Jetzt könnte man sagen, ich mach besonders schöne Männer – also «schöne Männer» ist übertrieben, aber doch sehr physische Figuren. Ideologie läßt sich damit nicht transportieren. Wenn ich eine Aussage will, kann ich kein Symbol verwenden. Ich halte Symbole überhaupt für albern, damit kann ich überhaupt nichts anfangen. Der Mensch ist der Transporteur seiner Gedanken und der Produzent der Gedanken, der Produzent des Geistes. Das heißt, wenn ich jetzt Gedanken äußere, so müssen sie überzeugend sein in ihrer Körperlichkeit. Es haben schon viele Leute gesagt, ich sei sicher homosexuell. Das ist Unsinn, nur glaube ich – und hier bin ich etwas sehr einseitig, und eine Emanze wird das sicher nicht gerne hören –, daß der männliche Körper sich besser als Transportmittel von Ideen eignet als der weibliche, vor allem für mich. Gewiß ist für mich der weibliche Körper mehr Objekt als der männliche. Darum kommt es zur Verkehrung in der Kunst: daß für mich als künstlerisches Ausdrucksmittel der männliche Körper viel wichtiger ist.
    FJR : Warum? Was hat dieses Transportsystem für Ideen?
    HRDLICKA : Erstens einmal bin ich selber ein Mann, das heißt also, in jeder Ideologie steckt ein Stück Selbstdarstellung. Alle, die Kunst machen, produzieren zugleich sich selber. Das ist keine Frage der Eitelkeit, denn ich bin ja kein Heros, ich seh mich weder athletisch noch sonst wie. Hinzu kommt, die Gesellschaft wird ja

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