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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Form.» Es ist eher so, daß mich Dinge interessieren, ganz alltägliche Dinge. Das könnte man auch nennen «Anteilnahme an der Zeit». Das ist ein komplizierter, gleichsam umgekehrter Prozeß. Ich möchte nicht sagen: Weil ich ein Mensch bin, der sich für Dinge interessiert, mache ich Kunst; aber ich bin sehr bald darauf gekommen, als ich begonnen habe, Kunst zu machen … Das hat jetzt nichts mit dem kindlichen Zeichentalent zu tun, sondern mit dem wirklichen Wunsch, Kunst zu machen. Da ist mir dann aufgefallen, daß die rein ästhetische Anregung nach dem Krieg für mich ohne Bedeutung war. Es war klar, daß man nach 1945 alles aufgesogen hat wie ein Schwamm und ganz erstaunt war, was es alles gibt an Formensprachen. Trotzdem bin ich sehr bald darauf gekommen, daß mir das Produzieren einer neuen Ästhetik, angeregt wieder durch irgendeine Kunstform, zu wenig gegeben hat. Denn es ist sicher so, daß die Kunst gespeist wird, ob wir es wollen oder nicht, aus Überzeugung, aus Egoismus, aus Neigungen, ganz gleich welcher Art – und daß es keinen Sinn hat, jetzt eine Kunst neben den eigenen Neigungen, neben den eigenen Interessen zu machen, nur damit man eben Kunst macht. Das habe ich nie verstanden, und diese Entscheidung ist bei mir sehr früh gefallen.
    FJR : Ist das einer der Beweggründe, daß du dich nach meiner Einschätzung ziemlich harsch gegen abstrakte Kunst wendest? Weißt du, das Schwierige ist ja, was du eben gesagt hast: Es gibt ja auch die These, daß Kunst auch versehrt werden kann durch eine zu starke Annäherung an die Realität, und es gibt natürlich eine Menge Künstler, Maler, übrigens auch Schriftsteller, die möglichst viele Filter dazwischenschalten, um eben nicht so nah, wie du es bist, an der Realität, an der Politik, an der Aussage zu bleiben. Der Vorwurf etwa, Kunst darf nicht erzählen. Deine Kunst erzählt ja, ob in der graphischen oder in der plastischen Arbeit. Also dein Einwand gegen die abstrakte Kunst – ich glaube, du hast sogar einmal von der «Formspielerei» gesprochen –, hängt der damit zusammen, oder wo ist der Einwand?
    HRDLICKA : Ich war am Anfang ein begeisterter Formalist, um es jetzt mal fast östlich auszudrücken: Die Wirklichkeit nach 1945 war teils sehr trist, teils auch unglaublich spannend. Auch meine Freunde, die sich zum Beispiel für die abstrakte Kunst begeisterten wie ich, haben sich, wenn sie am Abend ins Kino gegangen sind, eigentlich auch dort für den Menschen interessiert. Sie haben die tollen Krimis aus Amerika gesehen oder die neuesten Sexbomben. Auch das Theater hat aufgeräumt mit bestimmten Traditionen, mit Spielverboten auch. Man hat ununterbrochen diskutiert über Erzählen, Erzählformen, über das Problem, wie man Inhalte erzählen kann. Die Leute waren ganz fasziniert von der Neuen Welt, die über sie hereingebrochen ist nach 1945 . Das Grauen, das vor 1945 stattgefunden hat, wurde eher verdrängt. Ich habe mich nur fragen können, warum gehen die Leute her und machen dann als Künstler etwas Spezifisches in der bildenden Kunst, was in den anderen Künsten nicht existiert. Das Theater ist nicht ohne Mensch ausgekommen, der Film nicht, nichts ist ohne den Menschen ausgekommen, die Literatur nicht. Die Literatur hat uns ja auch nicht etwas über Gegenstände erzählt oder über spezifische geometrische Formen. Daher war für mich die sogenannte abstrakte Kunst etwas verdächtig, wobei zu sagen ist: Kunst ist natürlich immer abstrahierend, und ich habe auch einmal gesagt, die abstrakte Kunst hat uns die schöne Abstraktion in der Kunst simplifiziert. Eigentlich ist die abstrakte Kunst etwas sehr Simples. Sie hat etwas, das in der Kunst immer existiert. Das Abstrahieren verkunstgewerblicht, würde ich fast sagen. Und daher habe ich gesagt, ich kann mich nicht begeistern, ich kann nicht leben ohne Menschen, ich kann mich nicht für eine Kunst im Film oder im Theater oder in der Literatur interessieren und dann nach Hause gehen und plötzlich sagen, heute mache ich ein Quadrat, und wenn ich morgen in der Früh aufstehe, mache ich ein rosa Quadrat, und übermorgen am Abend bin ich zufrieden, daß ich ein blaues Quadrat oder einige Balken quergelegt habe. Verstehst du? Es ist einfach verrückt zu glauben, daß die Kunst, die bildende Kunst, ein Spezialgebiet ist. Das ist sie nicht. Sie ist genauso eingebunden in alle Künste.
    FJR : Es gab ja kürzlich in Berlin eine Debatte über diese Dinge, angeregt von einer Rede, die Günter Grass,

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