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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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gezwungen wurden, der zurückgekehrten Juden, die abermals in panische Angst versetzt wurden durch Moskauer Prozesse gegen eine «jüdische Ärzteverschwörung» oder den antisemitischen Slansky-Prozeß in Prag.
    Hier schleift die Sonde. Ich war sofort nach meinem Wechsel von West- nach Ostberlin 1950  – Stephan Hermlin hatte ich sogar noch in Westberlin kennengelernt, wo er Gedichte des mir unbekannten Paul Éluard las – in einen Kreis von Re-Migranten «aufgenommen» worden; mal wurden es enge Freunde wie der aus Kolumbien zurückgekehrte Erich Arendt, mal gute Bekannte wie der aus New York über Westberlin in die DDR eingereiste Alfred Kantorowicz, dann auch enge Arbeitskollegen wie der Volk und Welt-Verlagsleiter Walter Czollek, der «Spittelmarktjude», wie er sich nannte, der den Nazis ins letzte Schlupfloch Schanghai entkommen konnte. Ich nenne
pars pro toto
diese drei Namen, nicht Hanns Eisler oder Ernst Bloch oder Hans Mayer, die ich sehr wohl bald gut kannte; Mayers erste Widmung für mich in einem Buch trägt das Datum 1949 . Ich nenne diese drei Namen, weil sich an dem Schicksal der drei Männer verdeutlichen läßt, wie «meine Sonde» adjustiert wurde. Denn noch kannte ich ja nicht die schrecklich zeugenden Warnungen anderer prominenter Emigranten, kannte weder Alfred Döblins Satz an Arnold Zweig «Sie reden dort nicht mehr von der Schande der vergangenen Jahre, sie fühlen sie nicht mehr», noch seinen Brief des Jahres 1953 an den Bundespräsidenten Heuss, als er zum zweiten Mal Deutschland – WEST deutschland eben – verließ und in dem er beklagt, daß man seinem Werk keine Heimat bietet – «ich kenne den politischen Wind, der da weht». Ich war ein 16 jähriger Schüler, als ein Peter Weiss nach seinem Deutschlandbesuch 1947 konstatierte, wie grauenhaft unbelehrt die Menschen geblieben seien, daß er nur «kleinliches und klügliches Wegschieben der Schuld» gefunden habe. Das konnte ich nicht gelesen haben, so wenig wie den konsternierten Aufsatz von Klaus Mann, in dem, ebenfalls 1947 , der Sohn des Nobelpreisträgers bilanziert: «Deutsche Schriftsteller mögen ihre emigrierten Kollegen nicht – eine Feindseligkeit, die immer offener und aggressiver wird … Gewisse deutsche Publikationen gehen bereits so weit, antinazistische Exilierte in deutschen, von den Alliierten betriebenen Zeitungen zu attackieren.» Ich teilte gleichsam seine Rigorosität, ohne sie verbatim zu kennen. Hätte ich solche Äußerungen gekannt – sie hätten meinen Entschluß zum Wechsel von West nach Ost nur bestärkt. Daß ich richtig «gewechselt» hatte, bewiesen mir die – bis heute eindrücklichen – drei Lebensläufe.
    Erich Arendt, hierzulande zu Unrecht kaum beachteter Lyriker von Graden, war nach Kolumbien emigriert – ein fremdes, wildes Land, dessen Sprache er nicht beherrschte, ohne Beruf, ohne Arbeit. Seine jüdische Frau Katja, Tochter eines Berliner Schokoladenfabrikanten, hatte als Kind in der Werksküche zugeschaut; nun fabrizierte sie in einer glühend heißen Wellblechhütte Konfekt, und der Dichter zog mit einem Pappkoffer voller «handtipped candies» zu den Dienstboteneingängen der ausländischen Botschaften, um dort seine glücklicherweise begehrte Ware loszuschlagen.
    Alfred Kantorowicz, vor seiner Emigration in die USA (als eine Art Nachfolger Tucholskys) Paris-Korrespondent der «Vossischen Zeitung», durfte in einem luftleeren Abhörraum vom New Yorker Sender CBS täglich 10  Stunden die Hetztiraden jener Nazi-Größen abhören (und transkribieren), vor denen er mit knapper Not sein Leben gerettet hatte.
    Walter Czollek mußte sich in einem Schanghai durchschlagen, das man nicht mit der heutigen modernen Metropole verwechseln darf, ein kümmerliches Leben in der Fremde. Er hatte eine fingerdicke Narbe, die sich vom linken oberen Brustkorb bis zur rechten Hüfte hinzog – so hatte den Berliner Juden im Columbia-Haus in Tempelhof die Gestapo «verhört».
    Stand mir das Recht zu, solchen Menschen Feigheit vorzuwerfen? Gebührte ihnen und ihrem Geschick nicht Respekt? Auch wenn ihr Gehorsam – genannt Parteidisziplin – mich mehr und mehr zu zwacken begann: ich hing an ihnen. Zugleich trieben sie in immer dichter werdendem Nebel davon, entfernte Nähe. Wie an einem vereisten Laternenpfahl, berührt man ihn, Hautfetzen kleben bleiben – so blieben Fasern meiner Existenz bei diesen (und vielen anderen) Menschen, als ich mich losriß, 1958 , und die DDR verließ.
    Man

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