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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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zu zähmen und leichtsinnig ohnehin. Anders ist das sehr heikle Unternehmen «Donnerstagskreis» nicht zu berichten und zu erklären. Wobei der Bericht durchaus nicht als Rapunzel-Zopf irgendeines Exkulpierens dienen soll. Doch ist die Angelegenheit einerseits typisch für meine Handlungsweise, andererseits inzwischen vielfach erörterter Bestandteil der DDR -Literaturgeschichtsschreibung – erst jüngst hat Erich Loest dem Vorgang in seinem Buch «Prozeßkosten» ein ganzes Kapitel gewidmet –, so daß sie referiert werden muß. 1956 rief ich einen Kreis von 30 bis 40 (die Teilnehmerzahl fluktuierte) Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen zusammen, um die mehr und mehr strangulierenden Zensurmaßnahmen der SED -Bürokratie zu sprengen; das fahrlässig hochgesteckte Ziel war u.a. eine «freie» Kulturwochenzeitung, keiner Zensur und keinem Veto unterworfen. Es versammelten sich – daher der Name – auf meine Einladung hin jeden Donnerstag im Clubhaus des Kulturbundes renommierte Autoren wie Erich Arendt, Heiner Müller, Manfred Bieler, der Bildhauer Gustav Seitz, Lektoren, Redakteure; einige – wie Stephan Hermlin oder Alfred Kantorowicz – blieben sympathisierend fern. Wolfgang Harich stieß dazu. Unsere Debatten entzündeten sich nicht zuletzt an der Aufbruchstimmung in Polen, dann in Ungarn (wo sie alsbald unter den Panzerketten der Roten Armee zermalmt wurde; Georg Lukács, gemeinsam mit Volk und Welt-Autor Tibor Déry Begründer des Petőfi-Kreises, sagte nach seiner Verhaftung und Verbringung in ein unbekanntes Schloß-Verlies an einem unbekannten Meer «Kafka war doch ein Realist»). In einem Anfall von hochstaplerischer Fahrlässigkeit nannte ich unsere Diskussionsrunde gelegentlich «der deutsche Petőfi-Club». Die Einzelheiten führten hier zu weit. Die Doppelheit aber ist interessant. Ich hatte nämlich das Ganze sowohl dem DDR -Kulturminister Johannes R. Becher «vorgetragen» als auch bei der Kulturabteilung des ZK angemeldet (prompt nahm eine mitschreibende ZK -Schranze auch teil). Revolte mit Genehmigung der Kerkermeister. Der Kreidekreis …
    Dann das – ich lasse hier beiseite, daß diese offiziösen Vermeldungen wohl die Kurzfristigkeit meiner Inhaftierung mit bewirkten – bedeutete: Wir wollten, was man im Witz einen «hölzernen Eisenring» nennt. Wir wollten, ICH wollte, keineswegs die DDR abschaffen, sondern meinten, das innere Gesetz, dem sie ihre Existenz verdankte – Zwang jeglicher Art – abschaffen, die Existenz aber bewahren zu können. Wir wollten ein bißchen schwanger sein. Schwanger mit hochfliegenden Ideen, mit Plänen zu freiheitlichem Gebaren auf kleinem Gebiet, ohne das darüber errichtete Gebäude der Unfreiheit ins Wanken zu bringen. Was im übrigen zeigt, wie wenig «Marxist» wir alle waren – als könne man den Überbau verändern, ohne die Basis anzutasten. Der einzige wirklich geschulte Marxist, Wolfgang Harich, der bei gelegentlicher Teilnahme auch am grundsätzlichsten diskutierte, stellte diese Basis in Frage – und durfte das mit acht Jahren Zuchthaus bezahlen. Lilly Becher schickte seiner Frau Blumen, Anna Seghers saß im Prozeß stumm neben der stummen Helene Weigel. Czesław Miłosz hat für diese Moralbetäubungsdroge in seinem Buch «Verführtes Denken» den Namen «Murti-Bing» erfunden. Es ist jene Anästhesie-Pille, die Wissen auslöscht und Gewissen taub macht. «Ich
wollte
nicht wissen», hat Stephan Hermlin zugegeben, der eines Tages zu mir sagte: «Dies ist nicht mehr meine Partei – aber wenn Sie das irgendjemandem weitererzählen, werde ich schwören, das nie gesagt zu haben.» Stephan Hermlin, Anna Seghers: gut gut. Oder schlecht schlecht. Und ich?
    Das Schwierige daran ist: Eine Sonde pflegt gerade zu sein. Die meine aber ist geschwungen, schwingt gleichsam hin und her in einem verdächtigen Einerseits-Andererseits. Ohne jede Frage war ich ein Rädchen, das den Betrieb eines Unrechts-Staates mit «in Schwung» hielt; jedenfalls – um im Sprachbild der Kultur zu bleiben – die Kulissenapparatur; denn so hübsch es war, den Kulturbonzen die Genehmigung abzuringen, die Ausgabe von Pablo Nerudas «Der große Gesang» mit Holzschnitten des chilenischen «Formalisten» José Venturelli zu illustrieren, eine klammheimliche Lügerei «aber er ist doch Kommunist» half. Schäbig ist derlei Kulissenschieberei in Anbetracht der Pastorensöhne, die nicht studieren durften, der Liebenden, die zur gegenseitigen Denunziation

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