Stahlstiche
entstandenen USA die Abschaffung der Sklaverei erreichen wollte – der war gewiß ein Träumer, ein Visionär, ein «Spinner». Sie waren es, die über den Tag hinaus dachten – und, bis dato, die Tage der Menschheit prägten.
Sie haben eben nicht gedacht (und geschrieben) wie ein deutscher Leitartikler: «… die Politik, der wir alle unterworfen gewesen sind.» Unterworfen! Ein simples Dalli-Dalli-Quiz verweist die Macher auf ihre Plätze: Niemand erinnert die Namen der Schranzen, die Schiller von der Karlsschule fliehen ließen, Büchner verfolgten, van Gogh und Picasso verboten, eine «Aktion saubere Leinwand» ausposaunten oder einen Literaturpreis für die «Blechtrommel» hintertrieben; zu Recht sind diese Hiwis der Macht vom Schatten der Vergessenheit verschlungen. Name und Werk von Schiller oder Picasso oder Grass sind vorhanden. Wie hießen die Richter von Oscar Wilde? Wer hat Victor Hugo ins Exil getrieben, und wer nennt die Namen derer, die Thomas Mann nicht – keine Silbe, kein Wort – aus der Emigration heimriefen? Der Atem der Geschichte hat ihre Namen gelöscht wie der Wind Spuren im Sand.
Manche schreiben Memoiren. Erinnert werden sie nicht. Heute schätzt schon manch Statthalter das Gepflegte über der Sitzecke im Konferenzsaal, die Kunst im Raum. Aber kaum einer weiß, daß Begriffe wie Impressionismus oder Fauvismus
Schimpfworte
waren – gegen ihresgleichen mußte es durchgesetzt werden: der Cézanne an der Wand, der Flaubert im Bücherschrank, der Schönberg im Konzertsaal. Nun haben sie ihn auf CD . Es waren die Grenzüberschreiter und Ungebärdigen und Unbescheidenen, die unsere Welt voranstießen. Nicht Sätze eines Staatssekretärs, eines Ministers, eines Höflings finden sich wörtlich in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung wie in der französischen Deklaration der Menschenrechte – sondern die des Jean-Jacques Rousseau. Ich plädiere für ein Aufkündigen der Bescheidenheit. Die Rede ist von der deutschen Einheit.
Das Wort «Wiedervereinigung» schmeckt nach Waigel; also nicht gut. Wie wäre es mit «Neu-Vereinigung»? Was sind es für Argumente, die unsereins das Nachdenken über irgendeine Form, irgendeine Weise, irgendeinen Zeitraum aus dem Kopf bleuen wollen, da Buckow nicht mehr nur als Brechts «Buckower Elegien» zu uns gehören könnte und sollte?
I .
Die schlichteste Phantasieverweigerung heißt «nicht vorstellbar»: «Heute müßten bei einer Wiedervereinigung beide deutsche Staaten aus ihrer jeweiligen Militär-Allianz austreten. Das aber ist einfach nicht mehr vorstellbar.» (Marion Dönhoff, DIE ZEIT , 4 / 1989 ) Wem? Ich mache mich anheischig, ein Dutzend Beispiele für «nicht vorstellbar» zu bringen von inzwischen Realität gewordenen Ereignissen; um nicht nur in «meiner» – der Kultur – Sphäre zu bleiben, erwähne ich statt des Grabmals für Malewitsch bei Moskau oder Gidon Kremers Tournee durch die Sowjetunion etwas, das auch mich wie ein Keulenschlag traf: Als ich jung war, gab es in Westberlin ein «Denkmal für die Opfer des Stalinismus»; für mich eine typische Klamotte des Kalten Krieges, verächtlich und abzulehnen. Jetzt wird so ein Mahnmal – in Moskau errichtet. «Unvorstellbar» ist keine Kategorie für politisch konstruktives Denken, sondern Entwurf-Verbot.
II .
Die Hilfstruppen für das risikofreie Denken hören auf das Kommando «unserer europäischen Nachbarn». Die und die übrige Welt wollten den Status quo, lieber zwei Deutschländer als ein ökonomisch zu starkes, militärisch gar bedrohliches – von 78 Millionen. Deswegen, schreibt Theo Sommer ( DIE ZEIT , 26 / 1989 ), müssen wir uns «den Gedanken an einen nationalen Sonderweg in die Einheit aus dem Kopf schlagen»; bei Gefahr, von ihm als «Romantiker, Rechter oder Rabulist» denunziert zu werden. Mir fällt die Wahl unter diesen Ehrentiteln schwer. Aber fragen wird man noch dürfen? Nämlich, ob das tatsächlich eine so genuin durchlaufende Argumentation im Ausland ist: Das Mitglied des sowjetischen Politbüros Alexander Jakowlew sagt: «Das ist nicht unsere Mauer. Nicht wir haben diese Mauer gebaut. Das ist eine Sache der DDR .» Der stellvertretende Leiter der Europa-Abteilung im amerikanischen Außenministerium Lawrence Eagleburger sagt: «Die Vereinigten Staaten unterstützen die deutsche Wiedervereinigung. Das ist hier klar.» «Die Wiedervereinigung ist eine Sache der Deutschen», erklärt der sowjetische Armee-Chef General Werennikow, und er würde
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