Stahlstiche
«die Wiedervereinigung Deutschlands sehr gerne sehen», der amerikanische Präsident Bush. Und ist Präsident Mitterrand kein «europäischer Nachbar»? Er erklärte den Wunsch nach Wiedervereinigung als «legitim für diejenigen, die ihn hier und dort, in beiden Teilen Deutschlands, verspüren».
Gewiß, derlei mögen unsere Kommentatoren als hirnleere Vollmundigkeit abtun; und vielleicht hätten sie recht, es ist nur das obligate Kinderkopf-Streicheln im Wahlkampf, das nichts mit Kinderliebe zu tun hat. Aber wenn ein so integrer, intelligenter und – das kommt erschwerend hinzu – hochbegabter Mann wie Michel Tournier, einer der besten französischen Deutschland-Kenner (und erfolgreichsten Gegenwartsschriftsteller), sich äußert, darf man vielleicht mal hinhören? Der Goncourt-preisgekrönte Autor des «Erlkönig» schreibt: «Gewiß würde ein wiedervereinigtes Deutschland, ein Land also, das seine wahre Ausdehnung zurückerhalten hätte, nach Einwohnerzahl und an Wirtschaftskraft alle anderen europäischen Staaten übertreffen. Aber warum sollte man in diesem Ungleichgewicht eine Drohung sehen? Fühlt sich denn Belgien von Frankreich bedroht, Portugal von Spanien, die Schweiz von Italien? Die Geschichte lehrt, daß die Chinesen zwar das Schwarzpulver erfunden haben, zu dem einzigen Zwecke jedoch, damit Feuerwerke zu veranstalten. Die Deutschen müßten die Chinesen Europas werden und in Berlin ein gewaltiges Faß mit Schwarzpulver zu Unterhaltungszwecken aufstellen. Ein Pulverfaß, voll von Feuerwerk, um welches die Flämmchen der Hoffnung tanzen würden.»
III .
Von Tournier stammt auch der Satz «Die Katastrophe Deutschlands, von Hitler herbeigeführt, wurde erst von Adenauer ganz vollendet.» Er bezieht sich auf jene Stalin-Note, die Adenauer verbissen ignorierte; der Streit, ob es eine Finte war oder eine echte Chance, füllt Bände. Der geschichtlichen Wahrheit zuliebe muß nachgetragen werden, daß es offenbar ein weiteres – natürlich wieder: ignoriertes – Angebot gab; zumindest sagt das ein so unanfechtbarer Zeuge wie Manfred von Ardenne. Der DDR -Wissenschaftler berichtete (im Jahr 1987 ), daß er noch 1957 (!!) einen Konföderationsvorschlag ganz offiziell im Auftrage seiner Regierung überbrachte: «Der Zeitpunkt für die Wiedervereinigung, für eine Art Wiedervereinigung, ist von Konrad Adenauer vom Tisch gefegt worden. Ich selbst hatte noch im Juni 1957 von Ulbricht und Grotewohl den Auftrag, mich mit meinem Vetter, dem damaligen Bundesratspräsidenten Kurt Sieveking, zu treffen und den Vorschlag unserer Seite zu überbringen, aus beiden deutschen Staaten eine Konföderation zu schaffen. Das wäre ein anderes Verhältnis als heute. Dieser Vorschlag, der auch von der Sowjetunion – sagen wir mal – als ‹vernünftig› angesehen wurde, ist von Adenauer nicht angenommen worden. Nicht einmal Helmut Schmidt, mit dem ich 1984 in Hamburg zusammentraf, war dieser Vorgang bekannt. Das war der letzte große Augenblick für eine Wiedervereinigung, bei dem ich zufällig selbst der Briefbote war.»
Das zwingt zu zwei Konsequenzen. Die eine ist rückgewendet, peinigende Erinnerung: Ulbricht und Adenauer waren sich so nahe, wie die Enden des Hufeisens zwar das jeweilige Ende sind, aber einander der nächste Punkt. Gleich weit entfernt von der Mitte.
Les extrêmes se touchent.
Ich gestehe, daß ich geradezu glücklich war, derlei auch von dem – hochgeschätzten – DDR -Regisseur Konrad Weiß formuliert zu finden: «Ich kann und mag mich nicht damit abfinden, daß es Deutschland für alle Zeit doppelt geben muß. Der gegenwärtige Zustand ist weniger ein Ergebnis des Zweiten Weltkrieges als vielmehr ein Produkt des Kalten Krieges. Die deutsche Einheit ist Ideologien und Machtinteressen geopfert worden, hier wie dort. Die Gründergeneration in beiden Staaten hat den mühevolleren Weg von Schuldbekenntnis, Reue und Umkehr, von Dialog und Gewaltverzicht gescheut. Dabei mag es politische Unterschiede gegeben haben. In der psychologischen Motivation ihres Separatismus aber sind Adenauer und Ulbricht Brüder.» ( DIE ZEIT , 27 / 1989 )
Das wäre der Blick zurück im Zorn. Nun aber,
fasten your seatbelts,
voran; nach dem Prinzip Max Frischs «Ich stelle mir vor»: Wo steht denn, ein für allemal, festgeschrieben, daß beide Deutschland Militär unterhalten müssen? Mag sein, daß Costa Rica es ohne Armee leichter hat und daß die Schweizer Debatte um die Auflösung des Heeres uns nicht
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