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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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ihnen verklebt und sie mit Flüssigkeit anfüllt, unter Wonne ächzen! Lieber Gott, laß den Blick durch die Krusten gehen, sie durchschneiden!
    Um diese beiden Pole kreisen die Eintragungen, deren sprachliche Dichte geradezu bestürzend ist: Inseleinsamkeit, Leben als Entziehungskur, Kälte; und eine große Schwäche – für Leben, für Nähe, für Zeugen. Dem deklarierten Nicht-Mitleid, der songhaften Härte «ich habe keine besondere Wertschätzung für die Leute» steht sofort die Rücknahme entgegen: «Warum kann ich nicht über Leute schreiben, die ich liebe?»
    Denn wie stark Brecht lieben konnte, das zeigt etwa die Beziehung zu seiner ersten Frau Marianne Zoff und der Kampf um ihr Kind. Kein Zufall, daß der entscheidende Satz «Der Geschäftsmann ist Idealist in der Rede, Zyniker in der Tat, der Literat umgekehrt» im Zusammenhang mit ihrer Geschichte fällt. Diese intensive Liebesbeziehung, anders als die zahllosen Geschichtchen und Affären, die in den Tagebüchern aufgezählt sind, und anders auch als die schmerzende Nichtbeziehung zu Bie Banholzer, der Mutter seines ersten Sohnes Frank, zeigt jenen Brecht, von dem Arnolt Bronnen einmal sagte: «Er vervielfachte sich dauernd.» Brecht war wie ein Kind, er wollte alles haben, möglichst alles auf einmal – was er sah, wovon er hörte. Frauen, Glück, Rauch, Liebe, Ungebundenheit, Gebundenheit, Geborgenheit, Einsamkeit: «Freilich, ich will Timbuktu und ein Kind und ein Haus und ohne Tür und will allein sein im Bett und mit einer Frau im Bett, die Äpfel vom Baum und das Holz vom Baum und keine Axt führen und den Baum mit Blüten, Äpfeln, Blattwerk in Großaufnahme vor meinem Fenster! Und einen Knecht zum Düngen dazu!»
    Diese sinnliche Unersättlichkeit zügelt Brecht durch – Nerven. Seine Moral besteht aus Fühlern, seine Beobachtungsdistanz ist die einer Spinne, die die Welt verpuppt und verdaut, indem sie ein so hauchfeines wie kunstvolles Netz um sie garnt. Wenn er das Medium zwischen Zuschauer und Bühne «die Sehnsucht zu sehen» nennt, dann ist eben jene artistisch-zeremoniöse Distanz früh formuliert, die später das Wort «fremd» zum Inhalt bekommt. Das ist auch die «Vervielfachung» – und das ist, wie diese Tagebücher zeigen, immer aufs engste verbunden der Erfahrung.
    Wie der Analyse des eigenen Lebens. Bestimmte Bibelworte, sagt Brecht, gingen einem unter Schauern unter die Haut – wie bei der Liebe. Leben gerinnt zu Kunst, nein: wird gerinnen gemacht, durch Kühle. Als Arnolt Bronnen – die zeitweise intime Freundschaft der beiden Männer fand ihren Niederschlag in «Im Dickicht der Städte» – nach der jagenden Niederschrift des Stückes zu ihm sagte: «Bert, das bist du. Aber Du bist durch ein Gestrüpp von Rimbaud, Baudelaire und Villon hindurchgekrochen, Fetzen von Dir, von diesen hängen durcheinander. Was wolltest Du sagen?», meinte Brecht: «Den letzten Satz. Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die beste Zeit.»
    Und der Satz von den Bibelworten fällt nach einer großen reflektorischen Passage über Schwäche und Stärke, über biegsame Leute und Entweder-Oder-Menschen, die «trieben alles zum Äußersten, sie haben Haltung aus Angst vor ihren gläsernen Herzen. Kurz: es sind arme Leute.» Das liest sich fast wie das Ergebnis einer bewußten Komposition – wann immer sich Definitionsversuche zu Kunstproblemen finden, stehen sie in unmittelbarer Nähe erbarmungslos-scharfer Analysen; meist der eigenen Person.
    Jener Satz von der Beziehung zwischen Zuschauer und Bühne etwa genau vor dem aggressivsten Portrait eigener Verlogenheit und Eitelkeit, Schnödigkeit gegen eine Frau. Heraus siebt Brecht – «für
einen
starken Gedanken würde ich jedes Weib opfern, beinahe jedes Weib» – stets das Artefakt, wobei er das Kulinarische keinen Augenblick außer acht läßt, sich etwa als zu unreif für einen Roman bezeichnet, der ein gewaltiges Freßfest aller Sinne voraussetze. Das ist es wohl auch, was ihn die eigene Kunstproduktion wesentlich als Prozeß, nicht als Resultat sehen läßt. Schon der Jüngling findet hier Formulierungen, die sich fast wörtlich im «Organon» des reifen Schriftstellers finden; schon der junge Mann begreift sich lediglich als einen, der Vorschläge machte: «Ich habe kein Bedürfnis danach, daß ein Gedanke von mir bleibt. Ich möchte aber, daß alles aufgegessen wird, umgesetzt, aufgebraucht.»
    Aber er sieht auch, daß das Wesen der Kunst Einfachheit, Größe
und
Empfindung ist –

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