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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Brecht war an und für sich einsam. Er mußte sich schützen – zu allen Zeiten, nach allen Seiten. Er hatte wirklich nur die Weigel, auf die er sich völlig verlassen konnte. Um sich vor narzißtischer Kränkung zu schützen («Du darfst nie beleidigt oder enttäuscht sein»), benutzte er Anteile der Frauen, nicht jedoch die ganze Person, als «Mittel» gegen seine «Verlassenheit». Helene Weigel hatte bald den Part der asexuellen wärmenden und nährenden Mutter zu übernehmen, süddeutsch-österreichisch zu kochen, ein Heim einzurichten und zu sichern. «Daß Brecht während seines ganzen Exils nicht auf das gewohnte häusliche Leben verzichten mußte, war dem Verständnis, dem Geschmack, ja der Aufopferung Helene Weigels zu danken.» Sie führte wohl auch die Rolle der Dienstmädchen, der verläßlichen Maries fort, die Brecht auch später im System seiner Bemutterung unterbrachte. Er konnte es in Ostberlin noch vervollkommnen: Die Frau, die ihn dort versorgte, hieß mit Familiennamen «Mutter». «Frau Mutter, bringen Sie bitte das Essen!» – was konnte ein alternder Muttersohn sich Schöneres wünschen.
    Das findet seine genaue Bestätigung in den Beschreibungen von Marieluise Fleißer, ob in ihrer Novelle «Avantgarde» oder in ihrer Brecht-Erinnerung «Frühe Begegnung». Brechts nicht nur koketter Männlichkeitswahn, seine Haltung, in Frauen allenfalls Echo, Spiegel, Gegenüber – nie aber Partner zu sehen, charakterisiert die Gefährtin aus Ingolstadt im spröden niederbayerischen Tonfall treffend. Das Begriffsmaterial des nur scheinbar fiktiven Berichts ist Bestätigung des Vermuteten: die Frau als «gewünschter Fänger für seinen Ball», als «brauchbar» oder bestenfalls «nicht störend», als Gegenspieler, den man «bricht». Dieses sonderbar dialektische Verhältnis zu Hoffnungspotential und von Beginn an verachtetem Ziel, so es erreicht ist – das ist nicht nur das Spiel des Liebhabers, der das Schwangerwerden seiner Freundinnen haßt: Es ist auch das Konzept, gedankliche wie moralische Verhaltensweise: Wem «viel lieber als das Gewordene das Werden war» – wer also das Zeugen akzeptiert, die Geburt nicht –, der will möglicherweise mitarbeiten an einer besseren Welt; die Welt selber will er nicht. Mit einem nahezu klassischen Satz hat die Fleißer das de-chiffriert: «Im Endziel suchte er den Menschen zu helfen. In der Handhabung war er ein Menschenverächter.»
    Brecht saß immer «von den Menschen sehr entfernt», identisch mit einem Ziel, einer Sprache, einem Partner war er nie; identisch war er mit sich: Der frühe Brecht «ist Baal», heißt es im letzten Absatz von «Frühe Begegnung».
    Jene «Nützlichkeit» der Frau ist für den, der nur sich selber sucht, am perfektesten manifestiert in der Schauspielerin. Sie ist die – weiblich-humane – Variante dessen, was in homosexueller Literatur der Spiegel ist: Austräger eigener Ideen, Verwirklichung eigener Gesten, Erweiterung des Selbst: «Schauspielerin mußte man sein, daß er sich unmittelbar durch die Frau ausdrücken konnte. Das war die wahre Ergänzung für so einen Mann, das brauchte er wesentlich. Damit fing er wirklich was an, und das brachte ihn fort, denn dann konnte er sich körperlich sehen», heißt es bei Marieluise Fleißer. «Sich sehen.» Ein spröder, rational ausbalancierter Vorgang eher, nicht intim. Der Erläuterungscharakter des Mimischen, Gestischen in Brechts Theatertheorie, sein Horror vor Identifikation, ist hier bereits angelegt. Und ebenso ist hier angelegt jene «Große Kooperative» – sein Leben mit Helene Weigel.
    Die Manie, Verträge zu schließen – im Nachlaß fanden sich 50 000 Blatt Vertragstexte, mehr als Manuskripte, und Marianne Zoff erinnert sich an den Ehevertrag: «Er wollte fremdgehen dürfen, ohne daß ich mich darüber aufzuregen hätte, und ich sollte ihm treu sein» –, ist ein anderes Zeichen für das Instrumentalisieren von Frauen; «daß seine engsten Mitarbeiter an den Stücken fast ausschließlich Frauen waren, ergab sich aus seinem Umgang mit ihnen», sagt lakonisch Werner Mittenzwei, «eine Trennung zwischen der Arbeit und dem Privaten, dem Intimen, ließ sich bei ihm nie erreichen». So schrieb Brecht an seine frühe Geliebte «Bie», «Du mußt mir gehorchen»; «Ich war sein persönliches Eigentum», berichtet sie; er nennt entsetzliche Szenen mit Ruth Berlau «Spesen des Lebens» oder empört sich über die sterbenskranke Margarete Steffin: «Jetzt kann sie

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