Stahlstiche
«männlichen Vamp namens K. aus Pfersee bei Augsburg», den Brecht einmal erwähnt und über den Germanisten nach wie vor streiten und rätseln. Die Frage nach der «Möglichkeit Baal in der Wirklichkeit Brecht» ist interessant. Der «Choral vom großen Baal» ist so gut Biographiegedicht wie die «Ballade vom armen BB »:
Als im weißen Mutterschoße aufwuchs Baal
War der Himmel schon so groß und still und fahl
Jung und nackt und ungeheuer wundersam
Wie ihn Baal dann liebte, als Baal kam.
Als im dunklen Erdenschoße faulte Baal
War der Himmel noch so groß und still und fahl
Jung und nackt und ungeheuer wunderbar
Wie ihn Baal einst liebte, als Baal war.
Nun nimmt aber eine eigenartige Szene die Mittelstelle des Stückes ein; man kann getrost von der Schlüsselszene sprechen – jener nämlich, in der Brecht (der Liebe einst eine Schwäche nennen soll) ein seltenes Mal sagen läßt «Ich liebe dich». Baal sagt es zu Eckart. Es ist eine frauenfeindliche Szene: «Ich mag kein Weib mehr.» Ihr folgt unmittelbar die «Ballade vom ertrunkenen Mädchen», ein Meisterwerk, das sich zusammensetzt aus den Begriffen und Elementen Flüsse und Schwimmen, azurner Himmel, sehr wundersam und Sterne und ein Gott, der allmählich vergaß. Und das wiederum auf Rimbauds «Flotte très lentement, couchée en ses longs voiles» der Ophélie verweist. Bezeichnenderweise findet sich in der zentralen Szene von «Im Dickicht der Städte», im großen Abschlußgespräch zwischen Shlink und Garga derselbe Satz, warnend: «Nimm dich zusammen, ich liebe dich.»
Gewiß, «dem Stück fehlt Weisheit», wie Brecht 1954 sagte, und es ist nicht überflüssig, sich zu erinnern, daß wir es mit vorrevolutionären Arbeiten zu tun haben. Es verrät sich hier doch mehr, ein Strukturelement offenbar: ob die monologische Anlage der Psalmengedichte «Gesang von einer Geliebten» und «Gesang von der Frau»; ob Klage und Warnung, daß «bitter bereut, wer des Weisen Rat scheut – sagte das Weib zum Soldaten»; ob die Dirne Evelyn Roe, die wie alle Dirnen Brechts «eigentlich rein» ist, Gefährten eher wie Hanna Cash oder doch jedenfalls Copain wie Barbara und die Seeräuber-Jenny – ein großes Ideal von Unschuld, Demut und Tugend prägt Brechts Frauengestalten. Es ist eher die Idee einer Frau als ihre konkrete Gestalt: «Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer.» Im «Gesang von einer Geliebten» heißt es ähnlich: «… sie verschwand wie die Wolke, wenn es geregnet hat, ich ließ sie …», nicht viel anders im «Gesang von der Frau»: «… seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen, und einzig von ihr blieb der kleine Schrei …»
Brechts Frauengestalten sind Ideenträger, Hoffnungsziele. Sie sind alles: Dirne oder Heilige, Mutter, Kämpferin und Genossin; eines sind sie nicht: Frauen. Es gibt im Brechtschen Œuvre keine Erotik. Carl Pietzcker faßt das in einem niederschmetternden Satz zusammen: «Die Spaltung des Frauenbildes hat
als
Spaltung eine Verachtung wirklicher Frauen zur Voraussetzung.» Und er führt diesen Gedanken sehr genau aus:
Als «Mittel» hatten die Frauen unterschiedlichen Aufgaben zu genügen. Er idealisierte die als gutes Objekt erfahrene, auch körperlich «wärmende» Frau («Er vergötterte mich so sehr, daß es mir peinlich war», schreibt Bie), er distanzierte sie oder er entwertete sie zur Hure. Diese Spaltung des Frauenbilds zieht sich durch sein Werk: Als eine weitere Variante kommen dort die idealisierten und weitgehend entsexualisierten Jungfrauen und Mütter hinzu wie Johanna Dark, Pelagea Wlassowa, Grusche oder Shen-te. Die sexuell nicht anziehende Frau lockt den Mann weniger in den Strudel der frühen Symbiose. So konnte Helene Weigel, nachdem die Sexualität zwischen den beiden kaum eine Rolle mehr spielte, wenigstens zeitweilig zum verläßlichen guten Objekt werden. Ruth Berlau berichtet: «Als ich einmal über einen Menschen sehr enttäuscht war, weil er nicht hielt, was wir uns von ihm versprochen hatten, nahm Brecht einen Bleistift und zeichnete mir auf: Von einem Menschen kannst du zum Beispiel so viel erwarten, von einem anderen so viel und einem dritten nur so viel. Du darfst nie beleidigt oder enttäuscht sein, wenn deine Vorstellungen nicht erfüllt werden. Dann hast du Vorurteile gehabt. Wenn du
einen
Menschen hast, auf den du dich hundertprozentig verlassen kannst, dann hast du viel. Zwei solche Menschen gibt es nicht.» Für Brecht war dieser eine Mensch die Weigel …
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