Stahlstiche
das Wesen ihrer
Form
Kühle. Wie eng ineinandergezwirnt das ist, zeigt das hochpathetische Wort, das Brecht in seinen Tagebüchern, ein einziges Mal, benutzt. Er setzt es ein zu einem Stück von Shakespeare, das ihn «ergriff».
«Ich bitte Helli, folgendes zu veranlassen»: DIE ZEIT , 53 / 8 . 11 . 2012 ;
Schwierigkeiten beim Sprechen der Wahrheit: «Süddeutsche Zeitung», 98 / 24 . 4 . 1965 ;
Das große Weib Welt; Entwurf zu einem Menschen; Vervielfachung und Kühle: basierend auf einem Artikel in der ZEIT vom 5 . 2 . 1988 sowie auf undatierten Schreibmaschinen-Abschriften frei gesprochener Rundfunksendungen.
Erzählbild Grass
Erfolgs- und Skandalautor
Eine Gratulation
Die meisten kaufte der Romancier Wolfgang Hildesheimer: Als Mitte der fünfziger Jahre bei den Tagungen der Literatur-Gruppe 47 ein ziemlich struppiger Bursche auftauchte – es hieß, er habe nicht das Geld für die Anreise –, bot der in den Pausen eigene Zeichnungen und Lithographien aus. Die erste Erwähnung findet sich im «Tagesspiegel» von 1955 : «Einen neuen, als ‹kräftig, vital und bravourös› apostrophierten Ton brachten die Gedichte des Berliner Bildhauers Günter Grass.»
Zwei Jahre später war es Joachim Kaiser in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» – diesmal nach der Lesung aus einem Stück –, dessen absolutes Gehör den Ton einer großen Begabung erkannt hatte: «Kraft, fast brutale Kraft, verrieten zwei Akte des Dramas ‹Onkel, Onkel› von Günter Grass … Die Situationen sind absurd, hart gewordene Alltagssprache legt hier Sentimentalitäten und Mordsituationen frei. In der surreal-berlinischen Welt von Grass wird der ‹Glaube an den Menschen› brillant zerschlagen.»
Da lebte der 30 Jährige, der über genau eingeteilte 300 Mark im Monat verfügte, mit seiner Frau Anna in einer winzigen Zweizimmerwohnung der Pariser Avenue d’Italie. Das «Atelier» war ein feuchtes Kellerloch, Heizkeller zugleich, in dessen Ofen die erste, zweite, dritte Fassung einer Prosa-Arbeit verbrannt wurden – einer von mehreren Arbeitstiteln war «Der Trommler». Der epische Versuch ging zurück auf ein langes Gedicht über einen Maurer, der sich dem Wohlstand verweigerte und in seinem Ekel oben auf einer Säule ankettete, versorgt von einer schimpfenden Mutter mit dem Henkelmann. An den metaphernbeladenen Säulenheiligen erinnerte sich Günter Grass später: «Dieses lange Gedicht war schlecht gelungen, hat sich mir nur in Bruchstücken erhalten, die allenfalls zeigen, wie stark ich gleichzeitig von Trakl und Apollinaire, von Ringelnatz und Rilke, von miserablen Lorca-Übersetzungen beeinflußt gewesen bin. Interessant alleine blieb die Suche nach einer entrückten Perspektive.»
Vorerst hockte der Vater von Zwillingen in seinem Kellerloch, hungerte sich Tuberkulose in die Lunge (die er später ausheilte), schrieb Einakter und Gedichte, verdrängte das Bild eines dreijährigen Jungen mit einer Blechtrommel, den er auf einer Reise zwischen kaffeetrinkenden Erwachsenen in selbstvergessener Verlorenheit gesehen hatte, und verwarf eine zwischen Heuschrecken- und Hühnerzeichnungen entstandene Kafka-nahe Erzählung «Die Schranke». Die Zeitschrift «Akzente» druckte ein paar Gedichte, der Talentsucher Heißenbüttel sendete als Hörspiele deklarierte Szenen im Süddeutschen Rundfunk; eher unbemerkt war 1956 ein 64 Seiten schmales Broschurbändchen mit Gedichten, drei Prosaskizzen und Zeichnungen erschienen – welches immerhin Wortgebilde von so zarter Härte vorführte, wie wir sie Jahrzehnte später, im soeben erschienenen Band «Fundsachen für Nichtleser», wiederfinden werden:
Denn die Kreide hat recht.
Und der Tenor, der sie singt.
Er wird den Samt entblättern,
Efeu, Meterware der Nacht,
Moos, ihren Unterton,
jede Amsel wird er vertreiben.
Dann kam die Explosion. Das, was Grass fünfzehn Jahre danach in der ihm eigenen Lakonie summierte: «Nun war ich berühmt und mußte beim Schreiben nicht mehr die Heizung mit Koks füttern. Schreiben fällt schwerer seitdem.»
Auf der Tagung der Gruppe 47 in Großholzleute 1958 liest der 31 Jährige zwei Kapitel aus der unfertigen «Blechtrommel». Grass erhält ohne erwähnenswerte Widerrede den begehrten Empfehlungsbrief namens «Preis der Gruppe 47 » (damals 5 000 Mark). Joachim Kaisers Testat über die Textpassagen läßt die Verleger Schlange stehen, und als der Luchterhand Verlag 1959 die Trophäe auf den Markt bringt, beginnt der
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